Asien, ade!

Asien, ade!

Scheiden tut weh! Und in der Tat – so ist es. Noch nie ist es mir so schwergefallen wie heute am 31. Juli 2021, einen Abschiedsgruß zu schreiben. Ist es doch nach genau 10 Jahren mein letzter Tag im Dienst als Pfarrer der Auslandsgemeinde hier in Bangkok und Pattaya, aber auch in Myanmar, Laos und Kambodscha.

Unterm Strich: Veränderung war zwar das eigentliche Kontinuum in den vergangenen Jahren und sowieso die alltägliche Normalität – sowohl im Gemeindeleben als auch im gesellschaftlichen Umfeld. Und trotzdem habe ich mich nicht daran gewöhnt. Selbst vor umfassenden Veränderungen zu stehen – das lässt das eine Auge weinen, während das andere schon lacht.

Es waren die bisher intensivsten, bewegendsten, erfülltesten und eindrücklichsten Jahre meines Lebens. Der Bogen der zurückliegenden Jahre überspannt die tiefsten Tiefen und die höchsten Höhen. Der Reichtum der Erfahrungen entzieht sich jeder detaillierten Beschreibung und würde den Rahmen sprengen. Daher hier nur das Wichtigste – auch wenn dies doch etwas Raum einnehmen wird, weil ich vornehmlich meinen Dank ausdrücken möchte.

Schon vom ersten Tag an war mir klar: Das hier ist alles so ganz anders als in Europa. Und alles ist um so unbeschreiblicher und unerwarteter, als ich es mir vor meiner Anreise nach Bangkok noch nicht einmal im Traum habe ausdenken können.

Mir war schnell bewusst geworden: Hier habe ich meine Berufung erst wirklich gefunden und entdeckt. Die Intensivität der Seelsorge; der unmittelbare Kontakt zu den Gemeindemitgliedern; die familiäre Atmosphäre der Gottesdienste; die ungeschminkten Einblicke in die ergreifenden Schicksale, spannenden Biografie und Lebensentwürfe von Menschen, die hier zweitweise oder auf Dauer leben; Zeit zu haben für eben jene, die mit ihren Fragen oder einfach nur mal so den Pfarrer besuchen kommen; die unzähligen Begegnungen mit Menschen vor, während und nach den Gottesdiensten und vor allem: Die Inexistenz ineffizienter, geistloser und nervtötender Verwaltungsratssitzungen – all das war ein Schatz, aus dem ich habe leben dürfen, und den ich in dieser Dichte und Intensivität vorher noch nie erlebt hatte. Danke!

Die vielen überraschenden Touristen, die uns über Mundpropaganda oder das Internet entdeckt hatten und sogar im Urlaub den deutschsprachigen Gottesdienst aufsuchten; der Kontakt zu Menschen, die weltweit um einen pastoralen Dienst gebeten hatten beim Versterben ihrer Angehörigen weit weg in Thailand; die Feier der Sakramente in Sonderheit mit Familien aus zwei unterschiedlichen Religionen und Kulturkreisen; die Kreativität und liturgische Flexibilität im interreligiösen Umgang – alles Herausforderungen, die ich mir vorher nicht habe vorstellen können. Danke!

Ich habe hier erlebt, dass freiwillige Mitarbeit in der Gemeinde und der Besuch des Gottesdienstes nicht selbstverständlich waren. Das wöchentlich wechselnde Gesicht der sonntäglichen Gottesdienstgemeinde – von den Kirchensäulen bis hin zu den neugierigen Zaungästen – war nur ein Beispiel für den Facettenreichtum kirchlichen Lebens einer Auslandsgemeinde. Weite Wege in einer zeitraubenden Stadt, das Meistern der eigenen Aufgaben in Beruf und Familie, das schweißtreibende Klima unter tropischer Sonne oder im sintflutartigen Regen, die verschenkte Lebenszeit in unendlichen Staus – da überlegt sich der Normalchrist zweimal, ob er sich aufmacht, um mit seiner Präsenz Kirche und Gemeinde zu formen, mitzuarbeiten und bei den vielfältigen Gottesdiensten und Veranstaltungen Mitverantwortung zu übernehmen. Doch genau dies durfte ich staunend erleben. Danke!

Die sog. Kleinen (freiwilligen) und Großen (verpflichtenden) Konferenzen mit Vertretern des Auslandssekretariates und den pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der anderen Auslandsgemeinden in Tokyo, Seoul, Hongkong, Singapur, Jakarta, Bali, Yogyakarta, Manila, New Delhi, Kerala, Sydney, sowie aus Peking und Shanghai waren die kollegialen Höhepunkte im Laufe der Jahre. Nicht nur im Kennenlernen deren Wirkungsorte und -länder, sondern vor allem der vertrauensvolle und persönlich sehr intensive Austausch mit jenen, die ebenfalls ganz subjektiv versuchen, an ihrem jeweiligen Platz deutschsprachige Gemeinde zu prägen, hat mir gezeigt, wie wohltuend und stärkend geschwisterliche Zusammenarbeit, Unterstützung und freundschaftliche Verbundenheit selbst über tausende von Kilometern hinweg sein kann. Intensiver jedenfalls als früher zu manchem Nachbarpfarrer in unmittelbarer Nähe. Danke!

In diesem Zusammenhang möchte ich dem Katholischen Auslandssekretariat in Bonn, das in diesen Wochen sein 100jähriges Bestehen feiert, ebenfalls danken. Die Sorge um die Gemeinden weltweit gehört zu deren täglichen, auch verwaltungsmäßigen Geschäft. Dass dies aber mit Herz, Verständnis, großem Wohlwollen, persönlichem Interesse und Großzügigkeit geschieht, ist bei einer kirchlichen Behörde keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Geschenk für die diensttuenden Seelsorgerinnen und Seelsorger und letztendlich für die Auslandsgemeinden. Danke!

Die „Aktion 365“ – eine deutsche Initiative zur Förderung ökumenischer Zusammenarbeit – hatte vor vielen Jahrzehnten am Ortseingang meiner Heimatgemeinde Riegelsberg ein Werbeplakat für die Ökumene aufgestellt mit dem Slogan: „Tun, was uns eint!“ Ich hätte mir weder damals noch in meiner Zeit als Pfarrer in Deutschland vorstellen können, wie intensiv und lebensnah und -bejahend ich dies hier in Bangkok erleben würde. Sowohl mit dem Pfarrerehepaar Annegret und Ulrich Holste-Helmer, als auch mit deren Nachfolger Pfarrer Carsten Körber haben wir wirklich versucht zu tun, was uns eint. Und es hat gutgetan, sich als die zwei Brennpunkte der einen deutschsprachigen christlichen Gemeinde-Ellipse in Thailand und den Nachbarländern zu verstehen und ökumenische Zusammenarbeit zu gestalten. Sei es beim gemeinsamen ökumenischen Religionsunterricht als Co-Teaching (eine Idee, die erst jetzt in Deutschland zaghaft entsteht), sei es beim ökumenischen Feiern der beiden Heiligenfiguren Nikolaus und Martin, beim Neujahrsempfang oder anderer gemeinsamer Projekte, sei es beim uneingeschränkten Willkommen-Heißen der Gottesdienstbesucher auch der jeweils anderen Konfession im eigenen Gottesdienst. Wir haben getan, was uns eint. Genau darauf haben wir Wert gelegt und unkonventionell entfaltet. Christliches Gemeindeleben jenseits dogmatischer Enge in der Freiheit des Glaubens – wie wohltuend und beglückend. Danke!

Einer meiner Träume: Ein offenes Pfarrhaus mit Platz für Gäste und dem temporalen Zusammenleben mit Menschen, mit denen ich auch mein Leben teilen durfte jenseits der argusäugigen Kontrolle neugieriger und mitteilungsbedürftiger Nachbarn – eine Realität in Bangkok, aus der ich u.a. meine Kraft schöpfen durfte. Von Einsamkeit keine Spur, von spannenden Menschen jede Menge. Von Freunden und Bekannten, über neue unerwartete Bekanntschaften und Familienangehörige bis hin zu gestrandeten Existenzen und Unterkunft suchenden Zimmerleuten auf der Walz – ein buntes Spektrum von faszinierenden Menschen in zeitweiliger Vita Communis – was würde ich das den Kollegen in Deutschland wünschen, solche Erfahrungen machen zu dürfen. „- Herr, wo wohnst du? – Komm, und sieh!“ (Joh 1,38f) Danke!

Apropos Träume: Mit zwei bis dato unerfüllten Kindheitsträumen kam ich nach Thailand, zwei weitere waren noch erfolgreich ins Unbewusste verdrängt – doch alle vier wurden erfüllt. Das Segeln mit dem Erleben der Natur und dem Respekt vor den Urgewalten des Ozeans; das Erleben großartiger Technik beim Fliegen im Flugsimulator; aber auch das Staunen über die Wunder der Natur beim Blick durch die Teleskope, als auch im Kleinen im Mikroskop. Wie schön, dass die Rahmenbedingungen hier diese Highlights möglich machten. Danke!

Der frühe Kampf um legalen Aufenthalt mit Visa und Workpermit; die Hochwasserkatastrophe Ende 2011, die Proteste, Demonstrationen und Lähmung der Stadt; Militärputsch mit Ausgangssperre; zwei Bombenattentate mit Toten und Verletzten; der Tod des alten Königs; fortgesetzte Militärregierung; Proteste der Jugend; Corona und die Folgen, der Militärputsch in Myanmar – alles Dinge, die man sich nicht wünscht, die uns aber das Leben zugemutet hat. Dankbar bin ich dafür nicht, aber dankbar bin ich dafür, dass wir alle Wege gefunden haben, flexibel auf diese belastenden Situationen zu reagieren und uns gegenseitig Hilfe geschenkt zu haben. In den Krisen zeigten sich diejenigen, auf die man sich verlassen konnte. Danke!

Um Entschuldigung bitten möchte ich aber alle, die ich wie auch immer enttäuscht habe – sei es aus Unvermögen oder Unabsichtlichkeit. Das tut mir leid und hoffe, dass diejenigen, die es betrifft, in Zukunft bessere Erfahrungen machen können.

Dank gilt all denjenigen, die organisatorisch, hilfestellend, konzeptionell und einfach nur mit gutem Rat, mit Hand, Herz und Fuß mitgeholfen haben, Gemeinde zu gestalten oder mir zur Seite gestanden haben. Das war großartig und von großer Freude geprägt.

Dank gilt auch unseren Kirchenmusikern, die – angefangen bei unserem unvergessenen Siegfried Thom bis hin zu Khun Patrick und seinen Freunden – jeden Sonntag zu einem harmonischen Musikerlebnis gemacht haben. In der Kakophonie dieser Stadt waren sie Quelle und Ursprung musikalischen Genusses. Danke!

Mut machen möchte ich all denjenigen, die nun weiter in die ungewisse Zukunft gehen und denen deutschsprachige Gemeinde auch weiterhin am Herzen liegt. Pfarrer kommen und gehen, aber Kirche bleibt vor Ort und bekommt neuen Wind, neue Ideen und ungeahnte Möglichkeiten durch Menschen, die neu hinzukommen – sei es durch diejenigen, die nach der Corona-Krise wieder ins Land kommen werden, sei es durch neue pastorale Mitarbeiter. Es bleibt spannend.

Genau diese Spannung betrifft auch das Verfahren, wieder einen neuen Seelsorger für die Gemeinden in Thailand, Laos, Myanmar und Kambodscha zu finden. Wir sind dran … Leider ist das alles noch nicht spruchreif, wird aber zu gegebener Zeit und kurzfristig bekannt gegeben. Es geht also weiter und die Gemeinde bleibt nicht verwaist zurück.  Das ist mir wichtig, weil mir die Menschen hier wertvoll geworden sind. Schließe ich die Augen, dann sehe ich vor meinen inneren Augen den heiligen Rest, der trotzt Corona noch hier ist. Ich sehe aber auch all diejenigen, die im Laufe der vielen Jahre gekommen und gegangen sind. Alle zusammengenommen könnten wir fast unsere große Don Bosco Kirche füllen. In meinen Gedanken trage ich Sie alle mit mir. Sie sind mir unvergesslich. Der Mensch lebt zwar von Gottes Wort – aber die vielen unserer Gemeinde hier und in den Nachbarländern sind mir zum Brot geworden, das mich am Leben gehalten hat. Sie alle empfehle ich dem Segen Gottes und seines Schutzes. Denn das heißt ja „ade“ – ad deum – zu Gott!

Zusammenfassend kann ich sagen: Es gibt wirklich keinen Grund zur Traurigkeit oder zur Klage. Das Leben wird für Sie wie für mich weitergehen und denken Sie immer an das weise Wort von Peter Alexander Ustinov: „Jetzt sind die guten alten Zeiten, nach denen wir uns in vielen Jahren zurücksehnen werden“.

Bleiben Sie wohlbehütet und – Asien, ade!

Herzlich und Sawasdee Khrup
Ihr und Euer Jörg Dunsbach, Pfr.

PS: Zwar weiß ich noch nicht, wo ich ab September (hoffentlich im Saarland) eingesetzt werde, aber erreichbar bleibe ich dennoch – entweder über LINE oder per email: joerg.dunsbach@gmx.net

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