Kulturelle Irritation
Die buddhistische Wai Khru Zeremonie ist einmal im Jahr ein ganz besonderer Tag im Leben thailändischer Schulen. Die Kinder und Jugendlichen müssen sich vor den thronenden Lehrern auf den Boden werfen und mit kleinen floralen Weihegaben demütige Dankbarkeit zeigen, sowie für das kommende Jahr Respekt und Gehorsam versprechen.
Bei Uneingeweihten hinterlässt diese Zeremonie oft einen schalen Beigeschmack. Es widerstrebt dem Nicht-Asiaten instinktiv, sich zu demütigen und durch Selbsterniedrigung einem anderen Respekt zu zollen.
Die Bibel kennt diesen natürlichen Widerstand gegen sich niederwerfende Unterwürfigkeit schon aus dem Buch Esther (Est 3,1-6). Selbst Alexander der Große konnte davon ein Lied singen, verlangte er doch nach der Eroberung Persiens von seinen makedonischen Beamten letztlich erfolglos den gleichen Ritus, der bislang nur am mesopotamischen Hof üblich war: Die Proskynese, also das Niederwerfen vor dem Herrscher als Zeichen absoluter Verehrung und Anerkennung.
Andererseits: Wenn Gott ins Spiel kommt, dann haut es einen schon mal von den Füßen. Dem Propheten Ezechiel muss erst der Heilige Geist kraftvoll unter die Arme greifen und sich von ihm wieder aufrichten lassen, bevor Gott mit ihm auf Augenhöhe sprechen kann. Ein Perspektivwechsel der ganz besonderen Art.
Ezechiel 1, 28b – 2, 5:
In jenen Tagen 28als ich die Erscheinung der Herrlichkeit des Herrn sah, fiel ich nieder auf mein Gesicht. Und ich hörte, wie jemand redete. 1Er sagte zu mir: Stell dich auf deine Füße, Menschensohn; ich will mit dir reden. 2Als er das zu mir sagte, kam der Geist in mich und stellte mich auf die Füße. Und ich hörte den, der mit mir redete. 3Er sagte zu mir: Menschensohn, ich sende dich zu den abtrünnigen Söhnen Israels, die sich gegen mich aufgelehnt haben. Sie und ihre Väter sind immer wieder von mir abgefallen, bis zum heutigen Tag. 4Es sind Söhne mit trotzigem Gesicht und hartem Herzen. Zu ihnen sende ich dich. Du sollst zu ihnen sagen: So spricht Gott, der Herr. 5Ob sie dann hören oder nicht – denn sie sind ein widerspenstiges Volk -, sie werden erkennen müssen, dass mitten unter ihnen ein Prophet war.
Neuronale Ursachen
Alexander hin, Ezechiel her – wenn wir heute mit Situationen, Lebensentwürfen oder Haltungen in Kontakt kommen, die nicht unmittelbar unseren politischen oder religiösen Auffassungen entsprechen, dann nehmen wir unbewusst eine Abwehrhaltung ein. Schuld daran ist unser dorsomedial-präfrontaler Cortex, die Amygdala, der sog. Mandelkern unseres Gehirns. Die amerikanischen Neurologen Kaplan, Gimbel und Herres haben herausgefunden, dass wir beim Infragestellen unserer ureigensten Überzeugungen intuitiv mit der Aktivierung eben jener Mechanismen in unserem hinteren Gehirn reagieren. Also nicht mit dem vorderen Bereich, wo die Vernunft verortet ist. Eigentlich ein unbewusster Vorgang zum Schutz der eigenen Identität.
das kann doch nicht wahr sein – gehirnUnd was heißt das nun? Sobald wir in Konflikt geraten mit etwas, das nicht unserer innersten Auffassung entspricht, schaltet das Hirn auf Ablehnung. Es ist die gleiche Reaktion, die sich einstellt, wenn es um die leidige Diskussion um das Aufhängen von Kreuzen am richtigen Ort geht. Oder um die Zulassung von wiederverheiratet Geschiedenen oder evangelischen Gläubigen bei der Kommunion. Oder beim Richtig oder Falsch von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und Lebensentwürfen, u.v.m. Wenn unterschiedliche Auffassungen von Wahrheit aufeinander prallen, dann wird Kommunikation eben schwierig.
Aber bleiben wir doch biblisch. Ein Beispiel: Jemand, den man zu kennen glaubt, etwa weil man seine Brüder und Schwestern, seine Familie, Herkunft und Ausbildung angeblich kennt und den man deshalb ja voll und ganz einzuschätzen weiß-, so jemand tritt plötzlich derart auf, wie man es sich nicht einmal im Traum hätte vorstellen können. Noch dazu mit Aussagen, die um Himmels Willen weder vermeintlich zu dieser Person und seiner Geschichte, noch zu den eigenen religiösen Standpunkten passen. Reaktion: Nach der anfänglichen Irritation dann die umfassende Ablehnung: Das kann doch wohl nicht wahr sein!
Markus 6, 1b-6:
1bJesus kam in seine Heimatstadt; seine Jünger begleiteten ihn. 2Am Sabbat lehrte er in der Synagoge. Und die vielen Menschen, die ihm zuhörten, staunten und sagten: Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist! Und was sind das für Wunder, die durch ihn geschehen! 3Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns? Und sie nahmen Anstoß an ihm und lehnten ihn ab. 4Da sagte Jesus zu ihnen: Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie.5Und er konnte dort kein Wunder tun; nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie. 6Und er wunderte sich über ihren Unglauben. Danach zog Jesus durch die benachbarten Dörfer und lehrte.
Nichts Neues unter der Sonne
Das kommt einem ziemlich bekannt vor. Wir haben von diesem Paradebeispiel tiefenpsychologischer Reaktion aufgrund neuronaler Verhaltensmuster gerade im Evangelium gelesen. Mit seiner neuen Botschaft stellt Jesus die religiöse Identität seiner Heimatgemeinde unbeabsichtigt in Frage. Die Kommunikation läuft ziemlich schlecht. Die Ablehnung ist vorprogrammiert. Seine Worte bleiben im Mandelkern auf der Strecke. Sie erreichen weder Verstand, noch das Herz derjenigen, die nur noch den Kopf über ihn schütteln. Kopf und Herz – sie verhärten sich.
Es kann eben nicht wahr sein, was nicht wahr sein darf. Das, was Jesus da sagt, ist unerhört. Und genau deswegen findet er bei seiner ganzen Gemeinde kein Gehör und in der Konsequenz: Kein Verständnis, kein Glaube, ergo kein Wunder.
Aber es gibt Ausnahmen. Diejenigen, die schon die Hoffnung aufgegeben haben, die sich nicht mehr so sehr um die ewigen Wahrheiten kümmern wollen, die vom Leben eigentlich nichts mehr erwarten, die werden hellhörig. Sie haben noch offene Fragen, sind in ihrer Not nicht mehr überzeugt davon, dass alles immer so sein soll, wie es war. Sie zweifeln am Leben, an Gott, an sich selbst. Sie sind ansprechbar für eine neue Botschaft, die die einzige Alternative bleibt, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht. Ihnen steht nichts mehr im Wege, nicht einmal sie sich selbst. Bei diesen, bei den Kranken, geschieht das Wunder. Sie werden heil.
Perspektivwechsel
Und wo stehen wir? Sicherlich muss man uns nicht mehr überzeugen von der Botschaft Jesu. Aber selbst wir sind nicht gefeit vor der Versuchung, all zu schnell unverrückbare Positionen zu beziehen, sei es nun aus bewussten oder unbewussten Gründen. Wir brauchen uns nicht aus Hochachtung vor der eigenen Überzeugung in den Staub der blinden Voreingenommenheit zu werfen. Geben wir dem Geist der Weisheit Gottes die Chance, uns aufzurichten und unser Gegenüber zumindest zu verstehen. Seien wir also nachsichtig mit Menschen anderen Meinung und Auffassung. Ich bin gespannt, welche Wunder dann geschehen können. Denn schließlich ist – auf beiden Seiten – irren ja bekanntlich menschlich – und glauben auch.