Vom Urlaub als Vorgeschmack des Himmels
Waren Sie schon mal in Arkadien? Wenn nicht, dann lohnt es sich, einmal dorthin zu fahren – besonders weil davon auch der zur Zeit gebeutelte griechische Tourismus profitieren wird. Diese Landschaft inmitten des Pellepones übt nicht nur heute einen Reiz auf naturverbundene Urlauber und Griechenlandliebhaber aus, sondern war bereits in der Antike nicht nur ein geographischer Ort, sondern in gleicher Weise auch idealisierter Ausdruck eines Mythos. „Schon in der Zeit des Hellenismus wurde Arkadien verklärt zum Ort des Goldenen Zeitalters, wo die Menschen unbelastet von mühsamer Arbeit und gesellschaftlichem Anpassungsdruck in einer idyllischen Natur als zufriedene und glückliche Hirten lebten“, wie man in Wikipedia lesen kann.
Auf und davon
Klingelt da etwas? Könnte das nicht sogar eine gelungen-vielversprechende Umschreibung sein aus einem Werbekatalog für mediterrane Urlaubsziele? Mit Sicherheit – denn wer sucht das im Urlaub nicht? Inmitten der Natur, umweht von sommerlichen Winden, den smogfreien Himmel über sich und eine atemberaubende Landschaft um einen herum, sei es nun am Meer oder eben auch auf dem Festland. Noch dazu – die Arbeit ruht, den Stress hinter sich, sich völlig frei fühlend alle Viere von sich streckend und den lieben Gott einen guten Mann sein lassend. Ein Ausbrechen aus dem Gewohnten, jenseits aller Konventionen und Verpflichtungen eins sein mit der Natur. Wie wahr – einfach arkadisch-paradiesisch.
Diese Vorstellung, ja Sehnsucht ist nicht neu. Und vielleicht steckt in diesem fast unmöglichen Wunsch schon der Keim des alten griechischen Arkadia-Mytos – losgelöst von der geographischen Positionierung dieses Ortes hin zu einem idealisierten Zustand, wo immer dieser sich auch manifestieren sollte. Nämlich zu suchen nach dem Ort, wo das Goldene Zeitalter weiterbestanden hat, wie damals, als eben alles noch viel besser war, wie Ovid es in seinen Metamorphosen (3 n. Chr.) lyrisch beschrieben hat: „Die Menschen lebten sorglos wie Götter in ungestörtem Frieden, frei von Kummer, Plagen und Jammer, hüteten ihre großen Viehherden und genossen ihre üppigen Mahlzeiten. Ein Hauptmerkmal jener Zeit war, dass die Erde von sich aus die benötigte Nahrung reichlich hervorbrachte. Daher war anstrengende Landarbeit unnötig. Die Menschen waren mit den Göttern befreundet und kannten kein Unheil.“ (siehe Wikipedia). Wir würden heute sagen, es sei das Schlaraffenland. Die Griechen nanntes es eben Arkadia.
Nicolas Poussin (1594-1665), vielbeschäftigter barock-klassizistischer Maler in Paris und Rom hat diesen mythischen Traum aufgegriffen in seinen Bildern von den Arkadischen Hirten.
Sogar in Arkadien
In der zweiten, späteren Fassung dieses Bildes sieht der Betrachter eine weite, offene und liebevoll-idyllische Landschaft, bogenförmig eingerahmt von Bergen am Horizont und in der Mitte drei Hirten, die erstaunt um einen Sarkophag stehen. Einer der Hirten wendet sich fragend und unverständig an eine daneben stehende weibliche Göttin, die als Allegorie auf die Kunst zu verstehen ist. Dieser Hirte wird sicher schon die Inschrift auf dem Grabmal entziffert haben, während die beiden anderen noch erstaunt die in den Stein eingemeißelten Buchstaben nachzeichnen. „ET IN ARCADIA EGO“ steht dort geschrieben, was man im Originalbild naturgemäß besser lesen kann. Laut einer der möglichen Übersetzungsvarianten heißt dies soviel wie: „Auch ich bin in Arkadien“.
Was also erzählt die Geschichte dieses Bildes? Die Hirten machen sich auf den Weg. Sie suchen nach Arkadien, dem unentdeckten Land, dem Rest des Paradieses, also nach dem, was vom Goldenen Zeitalter noch geblieben ist. Und gerade als sie begreifen, dass sie am Ziel ihres Suchens angekommen sind, da finden sie inmitten von Arkadien einen Sarkophag, ein Grabmal – also das Symbol des Todes und der Vergänglichkeit. Alles andere, als das, was sie sich gerade hier gedacht oder erwartet hätten. Mitten im größten Glück die Ernüchterung. Man sieht den Hirten ihre Enttäuschung förmlich an. Selbst im erhofften irdischen Paradies ist eben nichts perfekt.
In der Kunst und Literatur gibt es mehrere Interpretationen dieses Bildes. Ich hatte meine eigene, als ich – mindestens genau so erstaunt wie die dargestellten Hirten – vor dem Original im Pariser Louvre stand.
Arkadien ist ein Symbol. Arkadien ist der Kristallisiationspunkt der je persönlichen, von Marcel Proust viel beschworenen Suche nach der verlorenen Zeit, oder wie ich gerne sage: nach dem verlorenen Paradies.
Sehnsucht als Motivator
Diese Sehnsucht befällt jeden. Sie ist Motor bei der Frage nach Gott, nach Erlösung. Sie ist der Grund, auf dem die Hoffnung wächst nach Geborgenheit in Gott. Sie ist die Quelle eines unbändigen Wunsches, den Himmel zu erreichen. Als Christen können wir auf die Worte Jesu hören und dieser Sehnsucht eine Richtung geben. Weg, Wahrheit und Leben finden wir in Christus.
Viele denken das nicht, ihnen bedeuten diese Worte nicht viel, und sie bleiben für sie gut gemeinte, aber leere Hülsen. Trotzdem haben alle die, die mit der Antwort des christlichen Glaubens nicht viel anfangen können, die gleichen Fragen, auch die gleichen Sehnsüchte. Den christlichen Glauben, und damit die Antworten auf die großen Fragen des Lebens nicht anzunehmen, befreit sie auch nicht von der Sehnsucht nach dem Guten, Wahren, Schönen und Ewigen.
Aber gerade weil ich eine Hoffnung habe und meine Sehnsucht sich auf den Himmel richtet, bleibt mein Suchen nicht nur auf meinen persönlichen Glauben reduziert. Er bedarf des Ausdrucks. Leben ist Ausdruckshandlung meiner Überzeugungen. Wenn ich an das Paradies glaube, dann suche ich es schon hier. Wenn Christus das Leben in Fülle versprochen hat, dann suche ich diese Fülle schon im Jetzt. Die Verheißungen des Glaubens sind für mich keine Vertröstungen auf das Jenseits, sondern dynamische Begeisterung, Gott im hier und jetzt zu suchen und zu finden (IV. Hochgebet). Aber dennoch im vollen Bewusstsein, dass alles Gute, Schöne und Wahre letztlich nur Vorläufer sind, Vorgeschmack und Motivator.
Herr-Rossi-Prinzip
Genau dies unterscheidet mich vielleicht von den Hirten. Sie setzen alles auf eine Karte. 100 % Paradies, aber bitte jetzt und gleich und ohne Abzug. Alles oder Nichts. Und diese stellen überrascht fest: Selbst wenn man meint, man hätte es gefunden – es bleibt letztlich unerreichbar. Klar sind sie enttäuscht – das Ende einer Täuschung. Denn 100% gibt es nicht – jedenfalls noch nicht. Durchaus ein schmerzlicher Erkenntnisprozess. Vergleichbar mit Herrn Rossi, der das Glück sucht. Und immer, wenn er es hat, dann stellt er fest, dass vom Glück doch ein Stück fehlt.
Deshalb mein Plädoyer für das Leben, es nun einmal so zu nehmen, wie es ist. Das Schwere und Mühsame, die Verpflichtungen und Aufgaben, die Arbeit und die täglichen Sorgen dabei aber nicht ausschließlich als erdrückende Last zu sehen, sondern sich die Sehnsucht zu erhalten nach einer Zeit oder einem Ort, „wo die Menschen unbelastet von mühsamer Arbeit und gesellschaftlichem Anpassungsdruck in einer idyllischen Natur“ zufrieden und glücklich leben können (s.o.).
Für mich zudem eine hervorragende Umschreibung für den vielschichtigen Begriff „Urlaub“: Aus der ursprünglichen althochdeutschen Wortbedeutung abgeleitet die Erlaubnis, weg zu gehen. Also raus aus dem Alltag, aus der Arbeit, aus den Verpflichtungen, Konventionen, um in Ruhe und nach Mögichkeit sorgenfrei zu genießen, wenn auch nur auf Zeit.
Arkadia light
Denn so schön die Reise- und Urlaubszeit auch sein kann, sie ist nur vorläufig und geht mit Sicherheit zu Ende. Sozusagen Urlaub als „Arkadia light“. Im vollen dankbaren Bewußtsein einer einmaligen, nicht wiederkommenden geschenkten und hoffentlich wunderbaren Zeit, aber auch im Wissen um die Rückkehr in einen Alltag, der wesentlich anders ist. Zumindest erspart einem dies die Enttäuschung wie bei den Hirten in Arkadia.
Vielleicht können auch die Überlegungen jüdischer Theologen aus dem Mittelalter helfen. Diese dachten nämlich darüber nach, was denn nach der Vertreibung aus dem Paradies von selbigen im Leben noch übrig geblieben sein könnte. Sie kamen zu dem Ergebnis: Die Edelsteine und der Wein.
Und in diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen einen schönen Urlaub und bei einem guten Glas Wein – entweder im griechischen Arkadien oder wo auch immer auf der Welt – gute Erholung und im günstigsten Falle einen Vorgeschmack des Himmels für Leib und Seele.
Jörg Dunsbach, Pfr.