Du blöder Ochs – du dummer Esel!

Du blöder Ochs – du dummer Esel!

Zur weihnachtlichen Ehrenrettung zweier pseudo-biblisch tierischer Gestalten

Ob das die beiden Tiere in der Krippe wohl gerne gehört hätten? Sicherlich nicht – waren sie doch treue Begleiter in der Krippe, wie das spätere Pseudo-Matthäusevangelium(entstanden um 600 n. Chr.) berichtet.

Zudem hat die Exsistenz beider animalischen Krippeneinwohner ja auch Sinn. Der Esel diente sehrwohl als Transportmittel und ein Ochs weiß ja auch, wo er in der Regel hingehört, auch wenn sich im deutschen Verkehrsfunk die Warnhinweise zu freilaufenden Rindern häufen.

Das instinktive Wissen der beiden Viecher ist dann der Hintergrund dafür, dass beide Tiere über die Heilige Schrift und die frühchristliche Ikonographie Einzug gehalten haben in die Krippe.

Maßgeblich verantwortlich dafür ist der Prophet Jesaja, der in seinen Schriften davon spricht, dass „der Ochse seinen Besitzer (kennt) und der Esel die Krippe seines Herrn“ (Jes 1,3).

Also – mit dem Regress auf Jesaja könnte man fragen: War denn die Bereitstellung dieser beiden Tiere etwa nur originäre Deko für die ersten frühchristlichen Krippendarstellungen? Sozusagen platzfüllende Materialien für eine ansonsten leere Tierunterbringungsmöglichkeit – abgesehen von der Ein-Kind-Familie?

Na ja, Tiere waren immer schon attraktiv – und wer die sozialen Netzwerke oder Youtube nach Katzen-Videos durchsucht, der kann davon ein tierisches Lied singen. Aber die beiden Haustiere sind mehr als dekorative Staffage. Sie haben – wie alle Bilder in der Bibel – ihren tieferen, symbolischen Sinn.

Blöde Kuh?

Du blöder Ochs – du dummer Esel!

Fangen wir also mit dem Ochsen an. Wenn man ihn genderneutral und geschlechtsunspezifisch betrachtet, dann dürfte es vielleicht auch eine Kuh gewesen sein. Heilige Kühe gibt es ja genug – und ich meine nicht das hier im umgangssprachlichen gemeinte Tabu. Wenn auch im Thailändischen Buddhismus mit seinen hinduistischen Wurzeln die Kuh bei weitem nicht so heilig ist wie in den Sub-Himalaya-Variationen, so gilt sie insbesondere im indischen Kulturkreis ja deswegen als sakrosankt, weil sie nicht nur ein Statussymbol für Besitz ist, sondern vor allem, weil das Rind die Verkörperung der Mutter-Erde-Gottheit Prithivi Mata ist, und in einer der Reinkarnationen Krishnas. Wer einmal in Indien war, der weiß, wie buchstäblich unausweichlich Rinder sein können.

Im Mediterran-Vorderorientalischen war die Kuh oder der Ochse – also das Rindvieh – eher Nutztier. Beim Geben von etwas Milch, beim Pflügen der steinigen Felder, als Lasttier beim Transport oder beim Ziehen der Karren auf unebenem Gelände – dazu konnte er gute Dienste leisten. Selig durfte sich der fühlen, der mit des Ochsen Hilfe rechnen und arbeiten konnte.

Ansonsten schaut er nur treu-doof. Mit genügend Druck ist Verlass auf seine Arbeit – und wenn nicht gerade als Stier, so ist er gutmütig und fast schon naiv. Seine Existenz bewegt sich im Triptychon von Arbeit, Heu und Wasser – das war´s dann auch schon, wenn wir die mehr oder weniger schmackhafte, kulinarische Verwendung mal vegan auschließen.

Kein Wunder, wenn er mit dem Attribut „blöde“ zumindest im deutschen Sprachraum belegt wurde. Stupide (engl.: stupid) könnte man auch sagen. Stoich in der intellektuellen Variante – aber immer sehr einfältig, verlässlich, fast schon treu, und vor allem einfach widerspruchslos unter das Joch gebeugt, untergeben und gehorsam. Was für ein blödes Rindvieh!

Dummer Esel?

Du blöder Ochs – du dummer Esel!

Mit dem putzigen Esel tun wir uns vielleicht leichter: „Oh, wie süüüß!“ hört man es auf einem Eselsfest in Luxemburg von allen Seiten. Und putzig sind sie allemal. Zwar struppig im Winterfell, aber gutmütig auf den ersten Blick und leicht zu reiten. Vielleicht liegt meine persönliche Affinität zum Esel darin begründet, dass er Einzelkindcharakter hat. Wenn er etwas nicht will – dann will er es nicht, und macht es erst recht nicht. Das Bild der eselhaften, vielleicht überbewerteten, aber sprichwörtlichen Störrigkeit zieht sich wie ein Archetypus dieses Vierbeiners durch unser kollektives Bewusstsein. Da hilft auch die an der Stange vorgebundene Karotte nicht mehr.

Wie ein Elefant vergisst ein Esel ebenfalls nicht und einmal unsanft behandelt, kennt er seinen Peiniger und vor allem keine Vergebung. Ganz abgesehen davon, dass ein Esel mit Regenwasser auf der Nasenspitze unter keinen Umständen zum Verlassen seines Unterstandes zu bewegen ist. „Na, dann mach doch, was du willst, du dummer Esel!“ … sagt man im entsprechenden oder analogen Falle nicht nur zu dem Nutztier, oder?

Gesellschaft Jesu

Oh, oh, und sowas nun stellt das Pseudo-Matthäusevangelium, bzw. wir heute in unsere Krippen? Natürlich – und zur Ehrenrettung beider hier nun die Erklärung:

Vorweg – es liegt mir fern, hier in stereotype Klischees zu verfallen, ich möchte nur die Bilder aufgreifen, die die Alten Kirchenväter – also Theologen der Frühzeit des Christentums – bereits benutzt haben, um die beiden Paarhufer an der Seite des Christkindes ihre dramaturgische Rolle zu geben.

Also: Wo liegt Christus? Na, zwischen beiden Tieren in der Krippe – Maria, Josef, Engel, Hirten, Könige mehr im Vordergrund, aber Ochs und Esel nun mal als flankierende tierisch coole Begleiter daneben.

Christus wird hineingeboren in eine Welt, die sich bezüglich seiner Heimat in zwei Kulturkreise aufteilt. Da ist zum einen das jüdische Umfeld mit seinen Traditionen und Gesetzen; da ist auf der anderen Seite das gottlose Treiben der Römer und Griechen und anderer Orientalen mit ihrem – aus jüdischer Sicht – heidnischen Götzenopferdienst. Die Kirchenväter deuten also die beiden Tiere als die beiden sich gegenüberstehenden Theologien, Kulturen und Heilserwartungen, die nun in der Krippe Ihre Nahrung, ihr Lebensmittel finden.

Du blöder Ochs – du dummer Esel!

Bezugnehmend auf Jesaja, der ja Ochs und Esel zuschreibt, dass genau diese den Heiland erkennen und wissen, wo ihr Platz ist (Jes 1,3; s.o.), wird das Christuskind zum Versöhner der beiden. So dumm sind sie also garnicht. In ihm, Jesus, hebt sich ihr Widerspruch auf. Beide finden in seiner Verehrung den Weg zum Heil und zur Erlösung. Für Juden und Heiden gleichermaßen ist Christus geboren worden.

Die einen verlieren das beschwerliche Joch des erdrückenden Gesetzes, die anderen werden frei von der Abhängigkeit mehrfacher, eifersüchtiger Götter. Christus wird zum Passpartout, der gleichzeitig in zwei Schlösser passt und von beiden Seiten Türen zu ihm hin öffnen kann.

Soweit die allegorische, bildliche Deutung beider Haustiere. Darüber hinaus meine ich, dass wir uns den beiden Tieren noch mehr nähern können. Hand auf´s Herz – wie war das denn? Gab´s das nicht schon mehr als einmal, dass man sich selbst auch den Vorwurf machte? „Ich blöder Ochs! Ich dummer Esel“ !?

Welcome to the Club

Du blöder Ochs – du dummer Esel!

Genau – Welcome to the Club! In diesem Sinne haben auch wir einen Platz an der Krippe. Beide Tiere sind für mich persönlich die besten weihnachtlichen Identifikationsfiguren in der wohldurchdacht inszenierten Komposition des Krippengeschehens. Ich – als blöder Ochs, als dummer Esel darf also mit dabei sein, und Christus gibt jedem die Möglichkeit, ganz nahe bei ihm zu sein.

Und das ist ja der tiefe Sinn von Weihnachten. Gott wird Mensch, um einer von uns zu sein. Ziemlich nahe dran zu sein am Menschen, um mit Leib und Seele verstehen und nachfühlen zu können, wie wir ticken. Selbst ich als dummes Rindvieh und mit all den Eseleien, mit denen man das eigene Leben versaubeuteln (schon wieder ein Tier!) kann – genau deswegen haben wir alle einen Platz bei diesem Jesus. Mag unser Leben noch so verhundst (sic!) sein, es wird von Christus selbst veredelt. Er sucht sich genau diesen Platz bei uns aus! Genau da will er hin. Was für eine Ehre für alle Ochsen und Esel – in und vor der Krippe.

Und wenn alle gegangen sind: Engel, Hirten, Schafe, Könige, – wer bleibt dann zurück? Genau – dann sind Ochs und Esel noch da, natürlich neben Maria und Josef. Und der Esel wird Jesus sogar noch zweimal tragen, nämlich nach Ägypten und später hinein nach Jerusalem.

Du blöder Ochs – du dummer Esel!

Eine tierische Gesellschaft da an der Krippe. Wenn auch die beiden vierbeinigen Begleiter eher im Hintergrund bleiben, so werden sie für uns nun doch eine herausragende Stellung einnehmen. Denn wenn ich jetzt in die Krippe schaue, dann sehe ich mich selbst neben dem Christuskind stehen. Zusammen bilden nämlich Asinus et Bovem in Personalunion eine Eselsbrücke, die mich auch an meinen eigenen Platz in der Krippe erinnert.

„Du blöder Ochs, du dummer Esel!“ – keineswegs, denn: Sollten die Engel an Weihnachten singen: „Wir preisen Gott in der Höhe!“, dann darf ich als alter Esel aus tiefster Kehle antworten: „Ihh Ahh!“ – was ja bekanntermaßen auf bayrisch so viel heißt wie: „Ich auch!“

In diesem Sinne – tierisch frohe und gesegnete Weihnachten 2015 – Ihnen und all Ihren Lieben, wo immer Sie alle auch sein mögen.

Ihr Jörg Dunsbach, Pfr.

Gebet der Esel:

Gib, o Herr, dass wir mit den Füßen auf dem Boden bleiben und unsere Ohren zum Himmel wenden, um nichts von deiner Botschaft zu verlieren.

Gib uns einen mutigen Rücken, um die unerträglichsten Menschen zu ertragen und eine heldenhafte Kehle, die nicht – ihrem Ruf entsprechend – jedes Mal trinkt, wenn sie Durst hat.

Lass uns voranschreiten, indem wir gleichermaßen das schmeichelnde Streicheln und die beleidigenden Stockschläge ertragen.

Lass uns über der Ungerechtigkeit und der Undankbarkeit stehen, weil dies die einzige Überlegenheit ist, die wir anstreben.

Wir bitten dich nicht, dass wir alle Dummheiten vermeiden, denn – wie schon Aristoteles sagt: Ein Esel macht immer Eseleien.

Lass uns nur niemals die Hoffnung verlieren auf die seelige Barmherzigkeit für uns ach so unseelige Esel – wie es ja die armen Menschen über uns sagen. Jene, die weder was von den Eseln, noch von Dir, unserem Gott, verstanden haben:

Der Du auf dem Rücken eines unserer Brüder nach Ägypten geflohen bist, und der Dir den prophetischen Einzug nach Jerusalem auf dem Rücken einer der unseren bereitet hat.

(aus Frankreich)

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