Wo bist Du?
Im Chat, per Anruf, Mail, oder wo auch immer im Zwischenmenschlichen – eine der am meist gestelltesten Fragen (FAQ) lautet: „Wo bist Du?“
Und? Gelobt und gepriesen sei das Internet – es hilft mal wieder beim „share location“. Line kann das schon sehr genial – aber wer kennt außerhalb von Asien schon Line? WhatsApp ist mal wieder viel zu ungenau, und wie bei fb bedient sich das Zuckerbergunternehmen ungeniert der persönlichen Standortdaten. Auch der iMessanger hat da noch viel Nachholbedarf. Außerdem müsste eine Alternative gefunden werden, mit der man irgendwie exakt und doch einfach ohne globale Koordinatenfeinstbestimmung trotzdem einen Ort festlegen könnte.
Gibt’s nicht? Gibt’s doch. Zum Beispiel: Sie finden mich im Pfarrhaus unter: göttin.pharao.erteilt
Und was soll das jetzt sein? Eine einzigartige App, die mit drei Wörtern weltweit jeden Punkt auf der Welt lokalisieren und eindeutig festzulegen vermag. Quasi als globales Adresszuordungsverfahren ohne Chat und Messanger, mit dem jeder jeden Punkt auf der Welt auf 3×3 m genau per App finden kann. What3words – ein kongeniales Start-Up. Was dahinter steckt, und wie das funktioniert, kann man im Detail >hier nachlesen oder als App auch gleich kostenlos herunterladen. Der Vorteil: What3words verwandelt komplexe GPS-Koordinaten in einprägsame Adressen. Super! Am besten gleich mal ausprobieren.
Wo bist Du? Wie gesagt – eine sehr wichtige Frage. Will man doch wissen, wo jemand ist, wie weit es noch ist, ob man noch lange zum Treffpunkt braucht. Letztendlich mehr als eine Frage der Neugier, als vielmehr auch ein Ausdruck der Sehnsucht nach einem Menschen, dem man sich verbunden fühlt, und wo er eben gerade ist. „Sag mir wo Du bist, und schon setze ich mich in Beziehung zu Dir. Wenn ich weiß, wo Du bist, dann kann ich mir vorstellen, wo Du bist; dann bist Du bei mir im Blick; dann verliert die Distanz ihren Schrecken; kann die Zeit bis zum Wiedersehen abschätzen; weiß, dass Du sicher angekommen bist; dann fühle ich mich Dir näher,…“
„Wo bist Du?“ – Das ist wohl eine der ältesten Fragen schlechthin, ja sogar die zweite Frage in der Bibel überhaupt (Gen 3,9). „Wo bist du, Adam?“, fragt Gott nach dieser unseligen Affaire mit der verbotenen Fruckt vom Baum der Erkenntnis. Wir kennen die Geschichte.
Adam, ubi es?
Aber was soll denn nun diese Frage? Es wird doch kein Systemversagen des göttlichen Positionierungssystems gegeben haben, also ob Gott nicht wüsste, wo Adam ist. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, wie bei einem allwissenden und allsehenden Zeus einen Blitz in das Versteck Adams zu schleudern und die Strafe auf den Fuß folgen zu lassen, Eva gleich mit eingeschlossen.
Aber – wieder einmal – Gott ist so ganz anders. Die Frage „Wo bist du?“ kommt bei ihm zu allererst aus dem Herzen, und zudem will Gott nicht wissen, hinter welchem paradiesischen Gebüsch im Garten Eden er sich versteckt hält, sondern wo er steht, also wo bzw. wie sein Standpunkt ist, seine Einstellung, also was jetzt anders ist als vorher.
Gott baut Adam eine Brücke, sich zu erklären, sich zu rechtfertigen. Aber Adam versteht nicht. Der Bissen von der Frucht ist bereits halb verdaut und zeigt Wirkung. Adam erkennt, was aus seiner Perspektive Sache ist, und sogleich beginnt er, Verteidigungsstrategien zu entwickeln. „Ich wars nicht!“, könnte man es auf den Punkt bringen. Das, was wir gemeinhin Sünde nennen, das ergreift von Adam Besitz: Das freie, sich bewusst von Gott Abkehren. Der Irrtum, sich vor Gott verstecken zu müssen. Die Angst, Gottes Zuwendung verlieren zu können.
Ich wäre schon gerne damals dabei gewesen im Paradies. Am liebsten hätte ich mich dann hervorgetraut und mich frech in den göttlichen Dialog eingemischt, Adam mal zur Seite nehmend und ihm sagend: „Mein lieber Adam, du hast zwar vom Baum der Erkenntnis gegessen, aber verstanden hast du rein gar nichts. Merkst Du nicht, dass Gott dich sucht, weil er Dich liebt? Hast du immer noch nicht verstanden, dass Gott nicht deine Vernichtung, sondern eine zweite Chance für dich will? Unterstellst du Gott wirklich, dass er in perfider Weise die Freiheit, mit der er dich beschenkt hat, nun zum Schuh werden lässt, wenn du dich ihrer bewusst bedienst? Und letztlich: Meinst du allen Ernstes, dass das bischen Obst dich trennen könnte von Gottes Zuwendung? Er kehrt sich nicht von dir ab – auch wenn er in deinen Augen allen Grund dazu hätte. Aber, wenn er nach dir fragt, dann ist das genau sein Wesen: Je mehr du dich abwendest, versteckst, davon läufst, um so mehr ist er hinter dir her. Er kann nicht lassen von dir. Er ist eifersüchtig auf alles und jeden, der sich zwischen euch stellt. Was wirklich Liebe bedeutet, das, lieber Adam, wirst du wohl erst lernen müssen!“ Ob Adam mich verstanden hätte? Wohl kaum. Eher hätte er mit What3words seinen Ort so beschrieben: Schuld.Misstrauen.Angst. Eben auf 3×3 m genau und das Mitten im Paradies.
Descendit ad inferna
Es kommt zwar, wie es kommen musste. Es folgt die Vertreibung aus dem Paradies. Die Fakten lagen ja schließlich auf dem Tisch. Aber die Heilsgeschichte geht erstens weiter und zweitens gut aus, wie wir wissen. Und übrigens: Adam wird noch einmal gefragt werden, wo er denn sei. Das Osterbild der Ostkirche beschreibt die sogenannte Höllenfaht Christi. Jesus zerbricht die Pforten der Hölle und bereitet mit seinem Tod und seiner Auferstehung den Weg zum Himmel. Anzunehmen, dass die Hölle ziemlich voll gewesen sein muss. Deshalb wird Christus wohl gefragt haben: „Adam, wo bist du?“ Denn als Ersten führte er Adam aus dem Reich des Todes, reicht ihm die Hand, zieht ihn machtvoll aus dem Tod und geht voran, gefolgt von allen anderen und Zukünftigen (1 Kor 15,22f). Da wird Adam wohl zu guter Letzt verstanden haben, Eva natürlich auch.
„Wo bist Du?“ Welche drei Wörter würden wohl unsere location festlegen? Weniger mit dieser tollen App, als vielmehr mit dem eigenen Herz- und Seelenpositionierungssystem. Eine Frage, die wir uns vielleicht im neuen Jahr gefallen lassen sollten. Wenn ich sie anders stelle, wird diese Frage eventuell zugänglicher: „Wo bin ich?“ Also: Wo ist mein Standpunkt, mein Standort – insonderheit in meiner Beziehung zu Gott. Eine Frage, die ich mir auch als Pfarrer zu selten stelle. Ich meine viel zu oft, genau zu wissen, wo ich bin. Doch Perspektivwechsel, neue Verortung, Standortbestimmungen sind zwar selten leicht, immer aber sehr hilfreich, auch in meiner eigenen Positionierung zu Gott. Und bin ich wirklich sicher, dass ich immer da bin, wo ich meine zu sein? Das GPS kennt ja auch Standortungenauigkeiten… Dann tut es gut, auch im Zweifel sich das Wort Gottes von Jesaja sagen zu lassen: „Sie her, ich habe Dich in meine Hand geschrieben“ (Jes 49,16) – ein sehr guter Ort!
Gefunden und gerettet
Ich muss also gar nicht selber 100%ig klären, wo ich bin. Denn die eigentliche Suchbewegung geht von Gott aus (Adam sic!). Auch wenn ich mich verliere, dann bin ich noch lange nicht verloren. Er will etwas von mir, er sucht mich, er hat Interesse an mir, ich bin ihm unendlich wichtig, er kann nicht von mir lassen. Was für ein großartiger Gott, den man einfach nicht los wird und von dem man sich finden lassen darf.
Im Unterschied zum verhältnismäßigkeitslosen, um sich greifenden Videoüberwachungswahnsinn mit dem Versprechen einer doch nur scheinbaren Sicherheit weiß ich mich von Gott in keiner Weise kontrolliert. Vielmehr bin ich dankbar, dass er um mich weiß. Bei ihm immerwährend im Blick zu sein, ist das Befreiendste, das ich mir vorstellen kann. Wo auch immer ich bin, da bin ich in ihm. Eine größere Sicherheit und Freiheit kann ich mir nicht wünschen. Also:
– „Wo bist Du?“
– „Schon immer nur in Dir!“
Ein gesegnetes und gutes neues Jahr 2017
Herzlich
Jörg Dunsbach, Pfr.