Vierzig Tage? So lange?
Nun, die Zahl Vierzig hat eine lange biblische Tradition. Das Volk Israel musste 40 Jahre lang durch die Wüste wandern, um ins Gelobte Land zu gelangen. Mose selbst verbrachte 40 Tage mit Gott auf dem Berg Sinai. Die Stadt Ninive bekam eine Schonfrist von 40 Tagen, um sich eines Besseren zu besinnen und tatsächlich einen neuen Weg einzuschlagen.
Kein Wunder also, wenn das Neue Testament die Zeit der Zurückgezogenheit und des Fastens Jesu in der Wüste ebenfalls auf 40 Tage festlegt. Wer das zu biblischer Zeit las, der verstand sofort: Jesus steht in der Tardition des Volkes Israel und der großen Propheten, die von Gott in der Wüste geprüft und berufen worden sind.
Dieses Ereignis aus dem Markusevangelium (Markus 1, 12–15) ist die biblische Grundlage für unsere Fastenzeit, die mit dem Aschermittwoch beginnt und sich 40 Tage bis Ostern erstreckt.
Selbst im Gottesdienst schlägt sich das nieder: 40 Tage kein Gloria, kein Halleluja, kein Blumenschmuck – und die Farbe der liturgischen Kleidung ist auch violett (purple). Offiziell heißt diese Zeit: Österliche Bußzeit – und offenbart schon im Wort ihren ambivalenten Charakter.
OMG – 40 Tage kein dies und kein das, Verzicht auf dieses und jenes, Zurückhaltung bei diesem und jenem. Keine schönen Aussichten. Fastenzeit hat den inhärenten faden Geschmack des weniger statt mehr, der Einschränkungen und alles andere als einen gefühlten oder tatsächlichen Mehrwert.
Wahrscheinlich ist genau das der Grund, warum es nicht gerade attraktiv ist, sich darauf einzulassen.
Nur Wellness?
Klar gibt es im Umfeld der Tage nach dem Karneval vielerlei Angebote zum Heilfasten, Abspecken, Wellness- und Fitnessprogramme und Angebote, die Kalorienzufuhr oder die Aufnahme auf alkoholischer Gärung basierender Genussmittel aus gesundheitlichen Gründen zu reduzieren. Sicherlich nicht schlecht, oft vergebens und nicht unbedingt religiös motiviert.
Jeder mit einem gesunden Maß an hedonistischer Grundeinstellung und noch dazu in einem Umfeld, das eigentlich alles und noch viel mehr an Möglichkeiten des Wohlfühlens bietet, wird sich nicht leicht tun mit dem bewussten Willen zum Versicht. Wir sitzen da alle im gleichen Boot.
Unser Glaube und die Kirche und die Bibel muten uns also schon ganz schön was zu, zumindest temporär eine oppositionelle Haltung zum Gewohnten und Geliebten einzunehmen. Muss man sich das wirklich antun?
Eigentlich schon, denn zum Leben und zur Verkündigung Jesu gehört sein Kreuzweg mit dazu, der ja in der scheinbaren Katastrophe endet. Der schmähliche Tod zwischen den Verbrechern am Kreuz. Daran kommen wir nicht vorbei. Nicht in der Bibel und auch nicht im Leben. Fastenzeit ist also die Zumutung, sich mit den dunklen Seiten des Lebens auseinander zu setzen, dem Verdrängungsmechanismus eine Alternative zu bieten und auch die Vergänglichkeit, die Ärmlichkeit der Existenz und ihre Schattenseiten ernst zu nehmen.
Nachts sind alle Katzen grau
Neben all dem Schönen und Hellen gibt es vielerlei Seiten des Kontrastes und unterschiedliche Abstufungen im Grau des Lebens. Niemandem gelingt es, dies ganz auszublenden. Also dient diese Zeit nun genau dazu, jenes auch einmal in den Blick zu nehmen.
Fastenzeit mit ihrer Einladung zum Versicht ist somit kein Selbstzweck, sondern dient dazu, auf der einen Seite einen realistischen Blick auf das Unvollendete, Fehlerhafte, Lebenseinschränkende, ja sogar auf den Tod zu lenken.
Vom Ziel her denken
Zum anderen aber auch: Diese Bußzeit ist eine Österliche! Und das ist der andere, perspektivenreiche Aspekt dieser 40 Tage. Schon diese Wortwahl macht deutlich, beim Zugehen auf den Karfreitag diesen nicht nur ernst zu nehmen, sondern und vor allem dort nicht stehen zu bleiben.
Es ist ein Durchgang. Die Israeliten und die Juden heute kennen dafür das Wort Pessach(Pas-scha) und erinnern damit an den Exodus durch das Rote Meer – aus der Sklaverei Ägyptens hin zum Gelobten Land, in dem alles gut wird.
Eigentlich hätten wir allen Grund, beim Blick auf das Kreuz an Gott und der Welt zu verzweifeln. Vor allem Jesus, der es aber gerade nicht tut. Selbst in der größten Verzweiflung – „Warum hast du mich verlassen?“ – legt er seinen Geist in die Hände des Vaters, auch wenn er rein garnichts mehr von ihm spürt.
Schon voraussehend feiert Jesus das Pascha-Fest, das Letzte Abendmahl, im Bewusstsein des Karfreitags und zugleich seiner Auferstehung. Alle seine Abschiedsreden weiten den Blick über sein Sterben hinaus. Nach all dem Leiden und Tod kommt das neue Leben, nämlich ein ewiges.
Colorful Live
Aus dieser Perspektive heraus kann es nun eine wirkliche Motivation sein, sich den vierzig Tagen der Fastenzeit zustellen. Nämlich im vorausscheinenden Licht von Ostern die Dunkelheiten des Lebens ernst zu nehmen und jenem zugleich in Glaube und Hoffnung und Liebe mehr Farbkontrast zu verleihen.
Ausgehend von der liturgischen Farbe schage ich also vor, sich positiv zu positionieren. Neben dem, auf das man verzichten will, vielleicht ein Mehr zu wagen: Ein Mehr an Aufmerksamkeit, Dankbarkeit, Zuwendung, Anteilnahme, Sensibilität, Geduld, Zeit für andere und sich selber, Bewusstsein für das, was mir im Leben an Gutem geschenkt wird, und eine dankbare Wahrnehmung all dessen, was mir so oft wie selbstverständlich erscheint.
Nehmen wir der Asche des gleichnamigen Mittwochs ihre Graustufen und färben wir sie mit dem Licht von Ostern. Versuchen wir, die Farblosigkeit eines ohnehin selten gelingenden Verzichts in ein breites Spektrum von „Fourty Shades of Purple“ zu verwandeln. Dann reicht es für jeden einzelnen Tag.
Schließlich haben wir 40 Tage dazu Zeit. Da sollte schon mal was gehen. Niemand verspricht, dass das einfach sei. Aber mit unserer Fantasie, mit Kreativität, mit der Freude am Glauben und der Vorfreude auf Ostern geht vieles einfach leichter.
Purple rain
Und warum nun gerade violett? Gönnen Sie sich doch mal – wenigstens einmal im Jahr – einen Sonnenaufgang. Am Meer, auf einem Berg, vielleicht von einem der hohen Etagen eines der unzähligen Wolkenkrazer Bangkoks, oder von wo auch immer. Genießen Sie die Blau-Goldene Stunde des sich erhebenden Tages und erfreuen Sie sich an dem wunderbaren atmosphärischen Farbspektrum des Morgenhimmels.
Gleich nach dem tiefen, noch nächtlichen Blau wird sich das Rot dazu mischen. Homer beschreibt es als safrangewandete Göttin Eos, die „aufdämmernd nun mit Rosenfingern emporsteigt“ (Video: Mythos der Morgendämmerung)
Violett färbt sich dabei der ganze Himmel. Es läßt schon ahnen, dass sich unser Zentralgestirn erneut erheben wird. Dann ist bald die Nacht vorbei und es beginnt ein neuer Tag.
Das heißt: Wenn der Himmel lila wird, dann geht gleich die Sonne auf. Auch wenn es noch dunkel und vielleicht noch kalt ist von der Nacht – schon bald erstahlt das Licht eines neuen ereignisreichen, wunderbaren Tages. Mit anderen Worten – Violett heißt: Alles wird gut!
Alles wird gut
Und um es mit Jesus Worten zu sagen: „Wenn ihr fastet, macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler! Sie geben sich ein trübseliges Aussehen, damit die Leute merken, dass sie fasten. Amen, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten. Du aber, wenn du fastest, salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht, damit die Leute nicht merken, dass du fastest, sondern nur dein Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der das Verborgene sieht, wird es dir vergelten“. (Mat. 6,17)
Eine gesegnete und gelingende Fastenzeit wünscht Ihnen allen
Herzlich
Jörg Dunsbach