„Hallo“ auf burmesisch
Soviel, wie in den Tagen vom 28.-30. Januar 2016 in Yangon, habe ich schon lange nicht mehr geküsst! Glauben Sie nicht? Ist aber so! Wenn man sich – wo auch immer auf der Welt – Aufmerksamkeit verschaffen will, dann tut man das in der Regel, indem man mit einem mehr oder weniger dezenten „Sorry, Hallo, Hey, oder Hello!“ auf sein Anliegen hinweisen will.
In Yangon geht das anders – wie so vieles… Da spitzt man einfach den Mund und macht Geräusche wie beim „Kleine-Küsschen-Geben“. Und dies ist dann wirklich wichtig auf den Bürgersteigen, im Gedränge auf der Straße oder in den engen Gassen des Bogyoke-Marktes, beim Herbeirufen des Kellners im Restaurant oder in den Menschenmassen, die zur Shwedagon-Pagode strömen. So kann man eben auf sich aufmerksam machen und sich seinen Weg bahnen. Lippenmuskelkater vom Küsschen geben – was man als Pfarrer noch so alles erleben kann!
Beim Treffen mit der deutschsprachigen Gemeinde zum ersten Gottesdienst in Yangon, Myanmar, ging es dann aber eher mitteleuropäisch zu. Herzliche Begrüßungen mit freundlichen Umarmungen – gleich merkte man, dass man unter seinesgleichen ist. Aber der Reihe nach!
Anreise war für eine Vertreterin der deutschsprachigen Gemeinde in Bangkok, sowie für meine Mutter und mich am Donnerstag Nachmittag. Der freundliche Taxifahrer – von der Schweizer Botschaft organisiert – und bereits von meinem ersten Kontakttreffen im Juli letzten Jahres bekannt – hat sich viel Zeit genommen, um uns am Flughafen abzuholen.
Männer in Röcken
Erster Eindruck – besonders überraschend für meine Mutter: „Die Männer haben ja alle Röcke an!“ Eben die typische burmesische genderneutrale Kleidung, der Longyi. Im Rock geht alles, im buchstäblichen, wie im übertragenen Sinne. Luftig, leicht, praktisch und nicht unbedingt unschick. Nur wie zieht man sowas an?
Wir sind eben im ehemaligen Burma, immer noch geprägt von Tradition, tief verwurzelter buddhistischer Frömmigkeit und gleichzeitig motiviert zu Reform und Erneuerung. Dies zeigte sich insbesondere beim haushohen Wahlsieg von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die – fast einer Erlöserfigur gleich – Hoffnungen aller gesellschaftlicher Schichten, inklusive vieler Militärangehöriger, auf sich vereint.
Vorbei am noch nicht ganz fertig gestellten neuen Flughafenterminal und der obligatorisch aus dem Boden wachsenden Condo-Hochhäuser geht es hinunter in die City von Yangon. Man kann den Charme dieser Hauptstadt durchaus noch erahnen, mit kleinen Häusern, viel Grün und großen Seen mitten in der Stadt. Aber auch hier verschwinden immer mehr die originären Wohnsiedlungen und werden ersetzt durch Großbauprojekte, die dieser Stadt langfristig ihren ursprünglichen Reiz nehmen werden. Eben eine Stadt mitten im Umbruch.
Das merkt man auch an den Straßen. Wer vor vier Jahren hier war, der erlebte ein asiatisches, verkehrstechnisches Paradies: vierspurige Straßen, weite Alleen und – fast keine Autos. Kleine Straßenbusse, ja. Taxis selbstverständlich, und Limosinen von Militär und Regierungsbeamten. Aber ansonsten kaum ein Wagen unterwegs. Was sich natürlich sofort änderte, nachdem die Militärs auch Privatwagen zugelassen hatten. Deshalb platzen die Straßen heute aus allen Nähten – wie überall in Asien, so auch nun in der burmesischen Hauptstadt mit dem obligatorischen Stau.
Betel überall
Mit viel Glück entdeckt man dann auch die sog. „Crownies“ im Luxuswagen auf der Straße. Das sind die wenigen Superreichen, die einen Großteil des Landeskapitals auf sich vereinigen. Und wie überall stechen dabei die selten gestreuten Porsche, Lamborginies, Maybachs oder Rolls-Royce´ neben den üblichen japanischen Automarken und den noch immer von Hand gezogenen Karren sofort ins Auge.
Ebenfalls überraschend – und nicht unbedingt appetitanregend – das omnipräsente Betelnuss-Kauen. Weniger das Kauen, als vielmehr das genussvolle Ausspucken einer schleimig-roten Flüssigkeit. Dieses „Rauschmittel für Arme“ ist in Myanmar noch sehr vertreten und hilft neben der bewusstseinserweiternden Wirkung vor allem gegen Hunger und Müdigkeit. Hinterlässt aber im Mund permanent schwarz-rot gefärbte Zähne und auf allen Wegen und Straßen unzählige rote Spuckflecken. Selbstredend: gewöhnungsbedürftig.
Die Kathedrale von Yangon liegt mitten in der Stadt. Bereits umrahmt von aufstrebenden Hochhäusern und alten, britischen Kolonialgebäuden, die leider dem Verfall anheim gegeben sind. Das Bewusstsein, vergangene Architektur zu bewahren, verblasst hinter dem Interesse, Yangon zu einer Großstadt zu machen. Dabei bleiben die architektonischen Reichtümer auf der Strecke – was aber nicht für die uralten und überall vorhandenen Tempelanlagen gilt. Diese erfreuen sich regelmäßiger und intensiver Restaurierungen und Erweiterungen.
Kirche mit Kardinal
Auch die Bischofskirche kann ihren Stolz bewahren. Komplett restauriert nach dem letzten verheerenden Zyklon Nargis im Jahre 2008, der sämtliche Glasfenster eingedrückt hatte, strahlt sie frisch restauriert in ihrer beeindruckenden, aber unasiatischen Architektur seit nunmehr 116 Jahren inmitten der Hauptstadt. Etwa 1% der burmesischen Bevölkerung ist römisch-katholisch, also rund 600.000 Menschen – Tendenz steigend.
Leicht hatten es die Kirchen nie – insbesondere nach der Machtergreifung der Militärs in den 1960er-Jahren. Seit der Öffnung des Landes im Jahre 2010 aber kann sich die katholische Kirche entschiedener auch im Sozial- und Bildungswesen engagieren.
Dies erlebte unter anderem einen enormen Auftrieb durch die Ernennung von Erzbischof Bo zum Kardinal im Jahre 2015. Zusammen mit der Kardinalsernennung mit seinem Nachbarn, Erzbischof Francis in Bangkok, hat Papst Franziskus ein deutliches Zeichen gesetzt, die kleinen Kirchen in Asien höher zu bewerten und auch international mehr in den Blick zu nehmen.
Das ist in Myanmar gelungen und Kardinal Bo bezieht nach der Stärkung seiner eigenen Person auch deutlich und unmissverständlich Position zu den Chancen des gesellschaftlichen Wandels, aber auch zu den Problemen innerhalb der sich aus mehreren Ethnien und Religionen zusammensetzenden Gesellschaft Myanmars. Sein Credo: In einer Familie müssen alle zusammen halten – dies gilt auch für die Großfamilie einer Nation oder eines multi-ethnischen Staates. Versöhnung ist sein Thema – religiös, wie auch gesellschaftspolitisch.
Bleibt zu hoffen, dass seine Mahnungen auch wirklich Gehör finden, insbesondere in der aktuellen Bürgerkriegssituation im Shan-Staat in Osten Myanmars, sowie bei den interreligiösen Ausschreitungen zwischen der verfolgten islamischen Minderheit der Rohingya und den radikal-buddhistischen Gruppen im Grenzgebiet zu Bangladesh. Schade nur, dass der Kardinal dieses Mal auf den Philippinen sein musste. Mit den besten Grüßen will er uns beim nächsten Treffen auch persönlich willkommen heißen.
Kardinal Bo hatte aber bereits beim Vorgespräch sofort und umfassend Unterstützung zugesagt für die deutschsprachige, katholische Gemeinde. Gottesdienst zu feiern in der Kapelle des Bischofshauses sei kein Problem, als auch der anschließende Empfang und Begegnung im Speisesaal der kleinen Kommunität, bestehend aus Schwestern, Priestern und Angestellten, die mit dem Kardinal zusammen wohnen.
Ökumene Willkommen
Auch ein gemeinsames Auftreten mit dem evangelischen Pfarrerehepaar Holste-Helmer aus Bangkok wäre kein Problem. Sofern es der Stärkung der deutschsprachigen christlichen Gemeinde dient, will er mit allen Kräften unterstützend zur Seite stehen. Ein sehr lobenswerter, ökumenischer Gedanke.
Das hochinteressante und freundschaftliche Gespräch in der Deutschen Botschaft mit Herrn Botschafter Christian-Ludwig Weber-Lortsch war sicherlich einer der Höhepunkte des Yangon-Besuchs. Nocheinmal unterstrich er die großzügige Bereitschaft der Vertretung, das Anliegen der deutschsprachigen Kirche vor Ort zu unterstützen.
Im Übrigen hat dies der Schweizer Botschafter, Herr Paul Seger, in gleicher Weise zugesichert. Beiden dafür natürlich den besten Dank! Zugleich aber bedauerte es Botschafter Weber-Lortsch, leider nicht beim Gottesdienst anwesend sein zu können, da andere berufliche Verpflichtungen anlägen. Aber seine besten Grüße an die Gemeinde kamen aus ganzem Herzen.
Interessant auch seine Einschätzungen zur politischen Lage in Myanmar. Ein bis vor kurzem noch weltpolitisch isoliertes Land am untersten Ende der ASEAN-Staaten, geprägt vom Wunsch nach Veränderung, der sich durch alle gesellschaftlichen Schichten zieht und der Hoffnungen, die auf dem neu gewählten Parlament ruhen, bis hin zur zukünftigen Stellung der Grande Dame Aung San Suu Kyi.
Die Analyse der burmesischen Gesellschaft ist ohnehin nicht einfach, da unterschiedliche Gruppen, religiöse Mehr- und Minderheiten, Militärs und Generäle, schwerreiche Crownies und eine immer noch sehr arme Stadt- und Landbevölkerung jeweils einen Fortschritt erwarten, wobei auch jene Hoffnungsträgerin nicht allen alles recht machen können wird.
Der sich anschließende Besuch des quirligen Bogyoke-Marktes in der Innenstadt erinnerte doch stark an den vergleichbaren Chattuchak Markt in Bangkok. Was es da alles gibt? Einfach alles! Und wenn man das Gesuchte nicht findet, dann hat man vielleicht nicht lange genug gesucht. Stark geprägt vom burmesischen Kunsthandwerk und Edelsteinverkauf ist er für das entsprechende Klientel mit Sicherheit ein Shopping-Paradies, wenn auch die Preise durch den stetig wachsenden Tourismus deutlich ansteigen.
Alles Gold, was glänzt
Das burmesische Nationalheiligtum – die Shwedagon-Pagode – war mir schon von meiner ersten Stippvisite bekannt. Aber ihren eigentlichen Reiz entfaltet sie sicher erst während des Sonnenuntergangs in den frühen Abendstunden, wenn alles, was wie Gold glänzt, auch wirklich aus Gold ist. Trotz vieler Menschen – Locals und Touristen – ein Ort der Stille und der Ergriffenheit. Bemerkenswert die verschiedenen Wochentags-Ecken. Jedem Tag ist ein eigener Andachtsplatz gewidmet, den man entsprechend des eigenen Geburts-Tages zum Beten aufsuchen soll.
Besonders spannend für meine Mutter, da sie an jenem 29. Januar nicht nur Geburtstag hatte, sondern ihr Geburts-Tag ein Freitag war, eben jener Tag, an dem wir die Pagode besuchten. Zufall – oder wie immer man es auch nennen mag – jedenfalls mit den Worten von Mr. Mim, unseres burmesischen Taxifahrers und Begleiters: Very, very lucky Lady. (Im Video just under renovation)
Münchner Wiener Schnitzel mit Bier aus Würzburg – was für eine geniale Kombination mitten in Yangon. Magnus Scherr, Wirt des deutschen Restaurants „Mahlzeit“, aktuell ausgezeichnet für hervorragende kulinarische Leistungen und fabelhaftes Team, war Gastgeber am Abend. Zusammen mit dem Kanzler der Deutschen Botschaft, Herrn Friedrich Rahn, und seiner liebenswerten Gattin waren vertraute Geschmäcker sehr willkommen. Zwar bietet die Küche Myanmars auch interessante Zungenschmeichler, aber mal wieder ein heimisch zubereitetes Schnitzel zu essen, das ist in Asien durchaus eine Versuchung, der man mit Genuss erliegen sollte. Sehr zu empfehlen!
Let us pray!
Mit großer Erwartung blickte ich am darauffolgenden Tag auf den Gottesdienst. Schon im Vorfeld bei der „Bewerbung“ und Einladung zu Begegnung und Gottesdienst – freundlicherweise unterstützt durch Schweizer und Deutsche Botschaft, Goetheinstitut, Konrad-Adenauer-Stiftung und andere Privatpersonen – konnte ich nach Rückmeldungen davon ausgehen, dass doch einige kommen wollten. 18 waren wir, viele Kinder und einem Baby, auch konfessionell und religiös bunt gemischt, so wie sich deutschsprachige Gemeinden im Ausland eben zeigen.
In der Hauskapelle von Kardinal Bo war genügend Platz für uns alle. Eine gute, familiäre Atmosphäre, mit genügend buchstäblichen Bewegungsspielraum auch für die Kinder. Der normale Pfarrer predigt ja im Stehen. Der Bischof tut dies im Sitzen, und der Auslandspfarrer macht es nun mal Liegen – aber nur, um bei der Predigt darüber zu sprechen, dass Glauben genau so ist, wie in der Sonne liegen. Und damit dies niemand vergessen sollte, gabs nach der Predigt auch noch eine Tube Sonnencreme, damit man sich beim nächsten Sonnenbad auch noch an die Predigt erinnert.
Beim anschließenden Lunch mit burmesischen Küchenköstlichkeiten waren wir alle der Meinung, dass dies ein guter Anfang war. Das Netz ist ausgeworfen, das Netzwerk eingerichtet und ausbaufähig. Nächster Gottesdienst im Juni und auch Tauffeiern und Erstkommunion sind in den Blick genommen.
Schön, dass sich Gemeinde überall auf der Welt findet. Natürlich ist die Feier der Eucharistie auch in einer anderen Sprache überall das Gleiche – aber in der eigenen Sprache ist es wieder etwas anderes, intensiveres. Das Wort Gottes zu verstehen ist nicht nur ein intellektuelles Geschehen. Es will auch verstanden werden in der Sprache, die ich von Kindesbeinen an gelernt habe. Deshalb ist es gut, wenn wir zusammen kommen, das Leben teilen und vom Wort des Lebens unmittelbar angesprochen werden.
Erfolgreicher Beginn
Erzbischof Heiner Koch in Berlin – der zuständige Bischof für die Auslandsseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz – hatte also eine sehr gute Idee, den für mich ursprünglich auf Thailand beschränkten Seelsorgeraum zu öffnen auf Myanmar und zukünftig auch noch für Laos und Kambodscha.
Zusammen mit meinem Kollegen Hajo Fogl in Singapur, der auch für Kuala Lumpur und wohl auch noch für Vietnam zuständig sein soll, ist ganz Südost-Asien nun seelsorglich-deutschsprachig betreut. Ich hoffe und bete, dass Menschen dieses Angebot zu schätzen wissen. Es ist eben ein Segen, wenn Gemeinde sich im Ausland trifft. Denn – um es mit Johannes Paul II zu sagen: Wer glaubt, ist niemals allein.
Danke auch an alle, die gekommen sind, die durch die Kollekte auch mit beitragen wollen, dass diese Gemeinde Bestand haben wird. Aber vor allem für die Bereitschaft, der deutschsprachigen Kirche in Myanmar ein Gesicht zu geben. Mit Christus auf dem Weg zu sein, das geht eben nur, wenn Menschen auch mitgehen. Und das haben Sie alle ja schon mit dem Besuch des ersten Gottesdienstes so wunderschön unter Beweis gestellt. Vielen Dank!
Bis zum nächsten Mal in Yangon!
Jörg Dunsbach, Pfr.