Quo vadis, Phnom Penh?
„Er kann verbieten, was er will. Wir wissen trotzdem, was er macht und wie er ist“, sagt Mr. Song, mein Taxi- und wahlweise Tuck-Tuck-Fahrer in Phnom Penh. Und viele Expats bestätigen mir diese Einschätzung. Es geht dabei um den Ministerpräsidenten und um die aktuelle politische Situation in Kambodscha. Und diese ist durchaus besorgniserregend.
Dieses überschaubare Land an den Ufern des braunen Mekong und des Tonle Sap, des prägenden, zweimal im Jahr die Fließrichtung ändernden Stromes des Landes – das hat auf den ersten Blick viel von geheimnisvoller Exotik. Ein europäisches Brainstorming bringt vielleicht zunächst Begriffe wie Ankor Wat, Siam Rep und Phnom Pen hervor. Die Reiferen unter uns verbinden noch die eindrücklichen Bilder im Weltspiegel und Berichte von Peter Scholl-Latour aus den 70er Jahren mit diesem Land im tiefen Bauch Südost-Asiens.
Im Schatten Vietnams hatte dieses Land seine eigene leidvolle Geschichte: Die Rolle König Norodom Sihanouks, die zerstörerische Herrschaft der Roten Khmer, die todbringenden Killing Fields, dunkle Geheimaktionen der CIA, endlose Bombardierungen durch die US-Luftwaffe, grausame Massenhinrichtungen und Folter. Heute aktuell: Das internationale Tribunal mit dem Versuch der Aufarbeitung der Verbrechen während des Steinzeitkommunismus der Roten Khmer. Man sieht: Die Nachkriegsvergangenheit Kambodschas wirft auch heute noch lange Schatten über dieses Land.
Land im Aufbruch
Dabei gibt es große Fortschritte: Politische Bildung, Schulen, auch heute noch die Lust am Erlernen von Fremdsprachen, Tourismusförderprogramme, archäologische Forschungs- und Sicherungs-Joint Ventures für die Altertümer Kambodschas, Kooperationsverträge mit westlichen Staaten, die Mitgliedschaft in den ASEAN Staaten, die kreativ-ökonomische Selbstorganisation eines landwirtschaftlich geprägten Volkes und der Versuch, sich mit den Wunden der Vergangenheit zu arrangieren. Gefördert und unterstützt durch die unzähligen NGO´s, die mit ihren jeweiligen Programmen zur spezifischen Entwicklung des Landes beitragen wollen.
Gleichwohl weiß man auch, was man am Westen hat mit seinem fast unermesslichen Investitionspotenzial. Dieser wiederum ist daran interessiert, ein Gegengewicht zum Hegemoniestreben Chinas in Südostasien aufrecht zu erhalten. In und zwischen all dem: Kambodscha mit seiner ganz eigenen Sprache und buddhistischen Kultur auf der Suche nach einem eigenen gesellschaftlichen Profil, das aber weit entfernt ist von freiheitlichen Gesellschaftsformen. Denn innerhalb dieses Konglomerates historischer Bezüge vom Altertum bis in die Neuzeit, der Balance zwischen dem Einfluss des Reiches der Mitte und der westlicher Kultur, der Eigenständigkeit und der geopolitischen Lage hat sich quasi unbeobachtet von der Weltöffentlichkeit ein politisches System etabliert, das seit Jahren maßgeblich vom jetzigen Ministerpräsidenten Hun Sen geprägt wird.
Im Hinblick auf die kommenden Wahlen in 2018 greifen einschneidende Maßnahmen. Die englischsprachige Zeitung „Cambodian Daily“ wurde wegen angeblicher Steuerschulden verboten. 15 freie Radiostationen mussten den Betrieb bereits einstellen. Demokratische Parteien der Opposition dürfen und werden aktuell verboten, wenn auch nur ein einzelnes Parteimitglied straffällig wird. Oppositionsführer werden verhaftet und verurteil wegen Landesverrat. Jüngstes Opfer: Die Suspendierung der Landrechtsorganisation „Equitable Cambodia“, eine unabhängige Bürgerrechtsinitiative, die mit „Brot für die Welt“ zusammen arbeitet. Der sog. ‚Situation Room’, ein von der EU gesponsertes Netzwerk kambodschanischer Bürgerrechtsorganisationen zur Beobachtung von Wahlen, wurde verboten, wie auch das von den USA unterstützte „National Democratic Institut“. (Quelle: TAZ)
keine Alternativen
Alle Maßnahmen dienen dazu, die Position der herrschenden Regierung vor dem Machtverlust im kommenden Jahr zu bewahren. Und hier insistiert Mr. Song. „Wir sind nicht dumm. Wir wissen, warum dies geschieht. Aber wir kennen Hun Sen seit Jahren und wissen, wie er tickt. Da kann er noch so viel verbieten, wie oder was er will.“ So spüre ich doch deutlich, dass der vor kurzem erst Vater geworden Taxifahrer sich bei aller Gelassenheit doch sorgt um die Zukunft seiner Familie. Vorausschauend ist er bereits aufs Land gezogen, raus aus dem quirligen Zentrum Phnom Penhs.
All dies ist eine nicht zu unterschätzende kritische Masse. Sie birgt die Gefahr, auch schnell in Gewalt und Proteste umzuschlagen. Ob es dann von Seiten der Regierung zu Zurückhaltung und Dialogbereitschaft kommt, ist selbst bei nüchterner Einschätzung eher ein frommer Wunsch.
Mit wem auch immer ich gesprochen habe – es herrscht eine Stimmung der Unsicherheit und Ratlosigkeit. Eine Mischung aus Business as usual und bangem Hoffen. Dem Wunsch nach Es-wird-schon-gut-gehen und dem Worst Case Szenario. Ein Gefühl, dem sich die zur deutschsprachigen Gemeinde gehörenden Menschen auch nicht ganz entziehen können.
Diese Gesamtsituation ist mitunter auch der Grund, warum das Angebot der Kirchengemeinde zum deutschsprachigen Gottesdienst so geschätzt wird. Wieder einmal schafft Kirche einen Ort der Begegnung und der Sicherheit. Zum einen, weil Mitarbeiter politischer und kirchlicher Organisationen auch existenziell betroffen sind, zum anderen, weil sie als Menschen vor Ort den Finger am Puls der kambodschanischen Gesellschaft haben und sehr sensibel wahrnehmen, wie dieses fragile Gleichgewicht auch schnell aus dem Takt geraten kann. Auf den zweiten Blick verliert Kambodscha also vieles seiner Hochglanzexotik aus fern-europäischer Sicht.
Die vielen jungen Menschen der Gemeinde, viele auch mit Partnern und Kindern, sind gut vernetzt. Die Frage der Konfessionalität ist eher nebensächlich – die Angebote beider deutschsprachigen Gemeinden, der evangelischen und der katholischen, werden von den Menschen gleichermaßen mit wachsendem Interesse wahr- und angenommen.
Flexibel bleiben
Die Gottesdienstbesucher lassen sich auch gerne darauf ein, mit wechselnden Gottesdienstorten zu leben. Lokale Kirchengemeinden zur verlässlichen Kooperation zu finden, das ist in einem Land mit nur 0,4% christlichem Anteil dem Aufgabengebiet eines Sisyphos vergleichbar. Aber es gibt – wenn genügend Flexibilität vorherrscht – auch Alternativen.
Das sog. Meta-Haus, ein deutsches Kulturzentrum, war bereits Gastgeber. Auch das „Ocean“, ein unter deutscher Leitung stehendes exzellentes Meeresfrüchte-Restaurant, war zuletzt Ende September Gottesdienstort. Messe zwischen Speisekarten, Weinlager und Seafoodcanapées, der hereindringende röhrige Sound der Tuck-Tucks im strömenden Monsun, eine saarländische Musikerfamilie am Klavier und Gitarre mit neuem geistlichen Liedgut – na, das hat dann doch wieder etwas von kirchlich-asiatischer Exotik, sozusagen kontemporäre Inkulturation auf höchstem Niveau.
Festhalten kann man nach zweijähriger Präsenz der katholischen deutschsprachigen Kirche, aufbauend auf der Vorarbeit der evangelischen Gemeinde: Auch hier hat sich Kirche zaghaft, aber permanent raumgreifend etabliert. Die Anfragen von Familien und anderen Organisationen mehren sich, selber einladende Orte zu schaffen für den Gottesdienst, sei es in den eigenen vier Wänden als Gastgeber für die Gottesdienstgemeinde, sei es in den Räumen deutscher Unternehmen oder Organisationen.
alles offen
Soviel Eigenengagement macht viel Freude. Man darf in Phnom Penh zur Zeit erleben, wie sich eine deutschsprachige christliche Basisgemeinde entwickelt. Identitätsbildend, vor allem durch die gemeinsame Muttersprache auch in Gebet und Gottesdienst, unterstützt durch die beiden in Bangkok lebenden Pfarrer der jeweiligen Konfession.
Eines ist gewiss: Jeder, der zum Gottesdienst kommt, bringt neben sich selbst auch seine Sorgen mit über ein Land, das schon viel gelitten hat, in dem nicht alles Gold ist, was glänzt, und dessen Zukunft mehr denn je im Ungewissen liegt.