Österliches Geschirrspülen

Österliches Geschirrspülen

Nicht sauber, aber rein

Im Unterschied zur Mathematik kann die Physik bei ihren Überlegungen auch einmal tatkräftige Annahmen und Näherungen ins Feld führen, die nicht allzu genau und 100% exakt sind. Gerade bei großen Berechnungen können kleine Faktoren gegebenenfalls vernachlässigt werden.

Das Interessante: Am Ende kann durch Beobachtung, Vorhersage  und Experiment festgestellt werden, dass man trotz der vielen Ungenauigkeiten und „rechnerischen“ Verunreinigungen“ sehr nah an die Realität herangekommen ist. Ein Beispiel dafür ist die sehr genaue Berechnung des Erdumfangs durch die frühen griechischen Naturphilosophen wie zum Beispiel Aristoteles, Aristarch und Eratosthenes.

Werner Heisenberg, einer der fundamentalen Mitbegründer der Quantenphysik, hat dies viele Jahrhunderte später nur bestätigen können. Tief im Inneren der Feinstruktur der Materie bleibt alles unbestimmt. Genaues lässt sich nicht mehr sagen. Dort ist alles unscharf. Und doch: Am Ende aber haben die physikalischen Theorien ein ungeheueres Prognosepotenzial. Die Experimente belegen es, und die Vorhersagen treffen ein. Somit ist die physikalische Theorie zumindest nicht falsch.

Dies hat ihn veranlasst, folgendes weise Wort zu prägen: „Wissenschaft zu treiben, das ist wie Geschirrspülen. Es gibt schmutzige Teller, es gibt schmutziges Spülwasser, es gibt schmutzige Lappen –  und am Ende steht vor einem das saubere Geschirr“.

Österliches Geschirrspülen

Ich glaube: Ostern ist die großartige Idee Gottes, genauso Geschirr zu spülen.

Ich glaube, dass Gott ziemlich erschrocken sein musste, als er das Ergebnis seiner Schöpfung angesehen hat. Klar, alles war gut, aber nicht perfekt. Gerade die kongeniale Idee, den Menschen als sein Ebenbild zu schaffen, d.h. mit der subjektiven Entscheidungsfreiheit auszustatten, war ein Glück für uns – nämlich ausgestattet zu sein mit einem Höchstmaß an persönlicher Entfaltungsmöglichkeit. Aus Gottes Sicht aber bestimmt auch ein Erstaunen darüber, zu was der Mensch dann alles in der Lage sein würde. Und um im Bild zu bleiben: Das feinste Geschirr, das Gott sich ausgedacht hatte, besaß die unangenehme Eigenschafft, Schmutz anzusetzen. Das strahlende Porzellan wird stumpf und das Silberbesteck läuft an.

Die Bibel spricht an vielen Stellen davon, wie Gott versucht hat, nachzubessern. Die Radikallösung: Das verschmutzte Geschirr als Einwegware einfach komplett zu entsorgen. Gesagt – getan. Aber in der Sintflut das Kind mit dem Bade auszuschütten, das ging Gott ziemlich ans Gemüt. Die Reaktion war dann ja auch prompt: Das soll niemals wieder geschehen.

Also auf ein Neues: Der gute Rat – Bleibt sauber! Zusammengefasst in der Magna Charta des Alten Bundes. Die10 Gebote hätten eigentlich ausreichen müssen. Wer das alles beachtet, der trennt sich auch nicht von Gott.

Wunderbar: Wenn man sich also an alle Gebote Gottes hält, dann bleibt man sauber und rein, und damit in Gottes Augen wohlgefällig. Ein perfektes und umfassendes System, das es so einfach macht, zwischen gut und böse, schwarz und weiß, richtig und falsch zu unterscheiden.

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Und? Mose kann ein Lied davon singen. Denn so einfach war es dann doch nicht. Da redet er sich den Mund fusselig, und doch machen die Menschen, was sie wollen. Die Reaktion: Noch mehr Regeln und Vorschriften, Einschränkungen, Verbote und Restriktionen.

Kein Wunder, dass dieses Normensystem des Alten Testamentes hauptsächlich Reinigungsvorschriften enthält: Sei es in Bezug auf Nahrung, persönliche Sauberkeit oder aber auch im Hinblick auf ethisch-moralische Vorschriften. Wir würden heute sagen: psycho-soziale Hygiene.

Nur hat dieses „Mehr“ an Vorschriften damals den gleichen Effekt wie heute in den gesellschaftlichen Systemen. Je mehr vorgeschrieben, verboten, reglementiert und unter Strafe gestellt wird, umso mehr steigt die Notwendigkeit der Sanktionierung. Denn aus der Vorschrift ergibt sich die Notwendigkeit der Einhaltung, und aus der Nichteinhaltung natürlich die Konsequenz der steigenden Kriminalisierung und folgerichtig der Strafverfolgung und Verurteilung. Sonst wäre dieses System ja auch sinnlos.

Kein Wunder also, dass neben dem sinnvollen und befreienden Glauben an den Gott, der sein Volk liebt und der es ins gelobte Land führt, schnell eine Auffassung getreten ist, die Gott als die große Gesetze erlassende, ausführende und richtende Gewalt in einer Person versteht. Wie hoch oder gering das Maß an Freiheit in Staaten ist, die keine Gewaltenteilung kennen, weiß ja jeder vernünftig denkende Mensch selbst einzuschätzen.

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Nächster Schritt im Sauberkeitssystem Gottes: Die Reinigungsspezialisten, im Alten Testament vornehmlich die Propheten. Allen gemeinsam die Grundannahme: Wenn ihr nicht sauber bleibt, dann seid ihr auch nicht rein. Und so werben sie mit vielen Worten um das Reinheitsideal Gottes. Der Sünde, also der Grundverschmutzung, begegnen sie mit allerlei gutgemeinten Lebensweisheiten, die natürlich ihrem tiefen Glauben an Gott und seiner Liebe zu den Menschen entspringen. Die einen werben mit viel Pathos und Empathie, die anderen auch mal mit Drohung, mit Feuer und Schwert. Und ganz erfolglos waren sie ja auch nicht. Ihre Worte halfen vielen, sich eines Besseren zu besinnen, um die Feinstaubbelastung der Seele auf ein Mindestmaß zu reduzieren.

auf ein neues

Aber so richtig zog dieses Instrument auch nicht. Die menschliche Grundtendenz, Schmutz anzusetzen, blieb bestehen mit zwei Konsequenzen: Zum einen auf Seiten der Menschen die eigene Überzeugung, es sowieso nie richtig oder gut genug machen zu können, gegenüber dem allzu hohen Anspruch Gottes. Zum anderen: Die Einsicht Gottes, dass dieses System von Gesetz und fast unerreichbarer Erlösungsvoraussetzung als Anspruch gegenüber den Menschen nicht zielführend ist. Was auch immer er versucht hat – sein Volk schafft es einfach nicht aus eigener Kraft, in den gereinigten Urzustand zurück zu finden, auch wenn Gottes Vorgaben, Vorschläge und Hilfsangebote noch so gut gemeint sind.

Ist das Projekt „Guter Mensch“ also damit gescheitert? Vielleicht hat sich das Gott auch einmal verzweifelt selbst gefragt. Aber an Aufgeben hat er dabei nicht gedacht. Und vielleicht hat er sich gesagt: „Wenn man es eben nicht alleine macht … Also muss ich selber ran. Nicht irgendein Hinweis, nicht irgendein Gebot, nicht irgendein Vertreter, sondern ich selbst. Der Boden dafür ist ja genügend bereitet. Wer wirklich will, versteht doch schon, was ich will. Die Zeit ist also reif dafür.“ Vielleicht so etwas wie die umgangssprachliche Beschreibung von Gottes Entschluss zur Menschwerdung.

das gab es noch nie

Das neue Konzept: Jesus. Und das gab es bislang noch nicht. Statt mittelbar, nun eben unmittelbar eingreifen. Und weniger eingreifen als werben, reden, überzeugen, Taten für sich sprechen lassen, unmissverständlich die Liebe Gottes in den Mittelpunkt und zugleich die Würde und Gotteskindschaft des Menschen über das Gebot zu stellen, die Gebote nicht aufzuheben, sonder sie mit Leben zu erfüllen, auch mal im Tempel einiges zurecht zu rücken und den Opferbetrieb zum Erliegen zu bringen, um auf das Wesentliche hinzuweisen. Der Facettenreichtum Jesu machte eines ganz deutlich: Es geht Gott nun um das Ganze. Wenn er schon selbst so persönlich anwesend ist, dann muss man doch endlich verstehen, um was es ihm geht.

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Weit gefehlt – auch hier kam es, wie es kommen musste. Das Werben Gottes in seinem Sohn für die eigene Sache ist kläglich gescheitert. Kein Aufstand, keine Massenbekehrungen, kein permanentes Hosianna, sondern ein lautstarkes „Kreuzige ihn!“. Das Projekt Menschwerdung erlebte seinen kläglichen Untergang im schmachvollen Tod des eigenen Sohnes…. auf den ersten Blick.

Es wäre aber nicht Gott, wenn er in dieser absoluten Katastrophe das Blatt nicht noch gewendet hätte. Unverhofft und unerwartet noch dazu. Nicht durch ein machtvolles Eingreifen, nicht in der großen letztendlichen Offenbarung und und zornerfüllten Vernichtung der Menschheit – diese Option hat er ja früher schon ausgeschlossen -, sondern im Aushalten und geschehen lassen, ja selbst im tiefen Schweigen angesichts des sicheren Todes. Wer würde auch schon mit so einer Reaktion rechnen.

im verborgenen

Gottes genialer Schachzug ereignete sich im Dunkeln, in der Mitte der tiefsten Nacht, in der abgrundtiefen Verlassenheit von Tod und Verlorenheit – im tiefsten Grab. Dem Tod die Stirn zu bieten und ihm im größten Triumph die Show zu stehlen. Dem Tod den Sieg zu entreißen und sich mit Haut und Haaren auf die Seite seines Sohnes zu stellen und das Ja zum Leben zu sprechen. Ganz unspektakulär, aber zugleich mit einer bis dahin unbekannten Innovation. Das größte Schmutzpartikel per se, nämlich den Tod, weg zu waschen. Aus eigenem Antrieb, als Exemple par excellence, als Pars pro toto, als Nagelprobe und Beweis, wie ernst es Gott mit dem Leben und den Menschen meint.

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Paulus hat das kurze Zeit später mit seinen eigenen Worten auszudrücken versucht: Die Sünde trennt den Menschen von Gott. Das heißt: sie führt in der Konsequenz zur Gottesferne und -entfremdung, d.h. zum Tod. Das Gesetz sollte dem Menschen helfen, von der Sünde wieder rein zu werden. Aber wer konnte das Gesetz schon umfassend und in aller Konsequenz einhalten? Niemand! Also musste Gott selbst eingreifen und die morbide Kausalität zwischen Sünde und Tod aufhalten. Diesen Teufelskreis wollte Gott ein für allemal aufbrechen.  Und das ging nun eben einmal nur mit dem Paradox des Todes Jesu. Er, ausgerechnet er, hätte nicht sterben können, da er eben ohne Sünde war – das Merkmal seiner Gottessohnschaft schlechthin. Wenn er es dann doch tat, führte Gott den Tod damit ad absurdum. Er benutzt den Tod  als Reinigungsmittel gegen den Tod. Und um noch eins drauf zu setzen, rief er Jesus ins Leben zurück und hat damit die Sünde und den Tod ziemlich dumm aussehen lassen.

Nicht, um sozusagen die familieninterne Angelegenheit mit dem Sohn und dem Heiligen Geist  zum Abschluss zu bringen, sondern zielgerichtet auf die Rettung der Menschen hin: Niemand schafft es, vor Gott ohne Sünde zu sein. Also niemand schafft es, sauber zu bleiben. Doch Gott hat ein für allemal Schluss gemacht mit der Konsequenz, aus selbstverschuldeter Verunreinigung nur noch dem Tod verschrieben zu sein. Ja, wir werden alle sterben, aber selbst der Tod kann uns von einem Leben in Gott nicht mehr trennen.

Feinwäsche

Alles, aber auch alles hatte in Gottes Plan von Anfang an das ehrgeizige Ziel, mit dem alten Feind abzuschließen. Der ganze Dreck menschlichen Unvermögens und Schuld, all dieser Schmutz aus nachlässigen Unfähigkeiten und Versuchungen, all das, was man hinlänglich als Sünde bezeichnen kann – all diese Schmutzfaktoren menschlichen Lebens hat Gott aber sowas von reingewaschen, dass unser wahres Wesen, nämlich unser Dasein als Gottes feinstes Tafelbesteck endlich wieder zum Vorschein kam. Wer von uns hätte das schon alleine leisten können…

Gut, schmutzig machen wir uns immer wieder. Aber Gott hat mit der Auferstehung Jesu an unserer Seele eine Imprägnierung mit Lotuseffekt vorgenommen. Die Sünde, das heißt konsequent der Tod, perlt an uns ab. Die Seele ist zwar nicht frei davon, Kratzer ab zu bekommen, aber im größten Schmutzwasser des Todes hat Gott uns rein gewaschen. Kein Wunder, dass wir an Ostern auch an unsere eigene Taufe denken. Sie ist sowas wie die Oberflächenversiegelung gegen die Angst, verloren zu sein, von Gott nicht geliebt zu sein, ja sogar gegen den Tod.

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Zum Schluss ist also alles gut geworden. Gott hat es hinbekommen. Und am Ende sind auch wir zwar nicht immer sauber, aber rein.

Frohe Ostern 2017

Jörg Dunsbach, Pfr.

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