Bitte wenden Sie!
Wenn ich auf der Sukhumvit unterweg bin, dann denke ich oft an die Fastenzeit. Warum? Weil ich nämlich von A nach B will und mal wieder nix geht. Weder komme ich voran, noch bin ich im Zweifelsfall auf der richtigen Seite. Einfach mal Blinker setzen, rechts abbiegen und umkehren – geht hier (meistens) garnicht. Einzige Lösung: Geduld und warten bis zum nächsten U-Turn. Kehr doch um! Man scheitert am real existierenden stehenden Verkehr.
Fastenzeit? Die will doch das gleiche von mir. Kehr um! Klasse. Also Richtung ändern und umdrehen. Dann wird alles besser. Super! Wirklich?
Ok, Jesu Ruf zur Umkehr ist unausweichlich. Es gehört einfach mit dazu, über die eigenen Wege nachzudenken und als Orientierung das Evangelium zu nutzen. Ausreichend Wege gibt es ja genug. Aber umkehren? Also 180 Grad Wende? Wenn das mal so einfach wäre… Da ist die Navigation in Bangkoks Stadtverkehr ja noch machbarer.
Wo bin ich?
Na, dann denken wir es doch mal durch – nur so für Spass:
Zunächst: Wo bin ich überhaupt? Standortbestimmung ist wichtig. Auf vertrauten Wegen fällt diese meistens weg. Ich kennen mich ja aus. Das macht träge, gefährliche Routine stellt sich ein und sorgt für Nachlässigkeit oder Unachtsamkeit. Meistens fällt das dann erst auf, wenn sich die Rahmenbedingungen geändert haben und vieles einfach garnicht mehr so rund läuft. Kaum ist eine der großen Straßen gesprerrt und unter den Brücken hat das GPS keinen Empfang mehr – dann wird es schwierig zu wissen, wo ich denn genau bin. Wo bin ich – mit anderen Worten: Wer bin ich? Was hat mich zu dem gemacht, der ich bin? Und was soll noch aus mir werden?
Wo soll es denn hin gehn?
Die Einsicht, dass ich schlimmstenfalls auf der falschen Bahn bin, oder zumindes mein Weg, Leben, Handeln, Unterlassen, etc. nicht zielführend ist. Dazu braucht es schon ein gehöriges Maß an Sensibilität, Selbstwahrnehmung, Ehrlichkeit, Selbstvertrauen, Einsichtsvermögen, Urteilskraft und Klarheit. Wie im Straßenverkehr: Wenn ich nicht weiß, wo ich hin will, dann sind alle Wege nichtssagend. Der Weg ist das Ziel – freut mich für jeden, der so frei sein kann. Glückwunsch! Wenn aber das Ziel fehlt, dann kann ich auch keine Entscheidung treffen. Gerade die Entscheidungen sind aber das, was uns zu dem macht, was wir geworden sind und werden können. Doch dazu braucht es Mut.
Richtungswechsel
Dann als Drittes: Gegebenenfalls umkehren. Wenn das mal so einfach wäre. „Kehren Sie, wenn möglich, um!“, tönt es manchmal aus dem Navigationsgerät. Besonders amüsant auf der Autobahn. Es geht eben nicht immer. Wie im Verkehr. Wenn kein U-Turn da ist, dann muss ich auf dem Weg bleiben. Es braucht also Vorbereitung, Kalkulation, Abwägen, Konsequenzen bedenken, Alternativwege in Betracht ziehen, Scheitern einkalkulieren, Versuch und Irrtum, ausprobieren…
Ich bin kein Freund von „Entweder – oder“, aber auch nicht immer für ein „Sowohl – also auch“. Anstelle einer 180 Grad-Wende kommt vielleicht auch nur eine Kurskorrektur in Frage – und schon wird aus dem Unmöglichen ein Lösungsweg. Vielleicht reichen auch zunächst einmal 45 oder 90 Grad. Oder es ist noch nicht an der Zeit. Oder die Wende nimmt selbst viel Raum und Zeit ein – wie die gewaltigen U-Turn-Bridges hier im Lande.
Eigentlich ist das der klassische Dreischritt aus Urteilen – Entscheiden – Handeln. Ein Konzentrat aus Lebenserfahrungen, das in der Auflösung im Wasser des Alltags seine richtige Dosierung finden sollte. Bei Anwendung bleiben Risiken und Nebenwirkungen natürlich nicht ausgeschlossen. Auch ein Pfarrer weiß da nicht immer die Antwort – steht er doch selbst unter dem gleichen Anspruch und der Erfahrung von Gelingen und Misslingen.
Fastenzeit kann also heißen, sich bei diesem Dreischritt mit Gott auseinander zu setzen. Was durfte ich werden und wer bin ich heute? Wo soll es hingehen? Was kann darf, soll ich tun – oder besser lassen? Und wie kann das gehen? Klassisch sagt man dazu Gebet – und das muss nicht nur in der Kirche sein. Zum Beispiel auch im Stau auf der Sukhumvit, bei der Suche nach dem nächsten U-Turn oder sonst wo.
Auf Umwegen zum Ziel
Schwarz/Weiß-Lösungen gibt es da kaum. Eher bleibt vieles in Schattierungen und bestenfalls in unterschiedlichen Farbtönen. Aber es tröstet mich, dass ich mir auch selbst im Weg stehen darf, statt Umkehr nur einen Umweg einschlage oder doch auf den alten Wegen bleibe. Ich weiß nämlich, dass Gott immer mit dabei ist. Er freut sich, wenn ich es schaffe, und schmunzelt vielsagend, wenn ich scheitere. Wenn dem so ist, dann darf ich es oft wagen, mich neu zu erfinden, umzukehren, den Ausflug auf den Holzweg zu machen, Umwege in Kauf zu nehmen, tatsächlich eine neue Richtung einzuschlagen, oder auch auf dem Weg zu bleiben, den ich gewählt habe. Denn am Ende aller Wege steht immer nur Gott. Das Ziel heißt Ostern – und das kommt so sicher, wie das Amen in der Kirche.
Es ist eben wie hier im Verkehr: Navigation ist, wenn man trotzdem ankommt.
Eine gesegnete Fastenzeit 2017 wünscht Ihnen
Herzlich
Jörg Dunsbach, Pfr.