Wenn auch die Erinnerung verblasst…

Wenn auch die Erinnerung verblasst…

…so bleiben doch die Wunden.

Zugegeben, ich kann es mir nicht vorstellen, wie es damals war. Unbändige Wassermassen, Entsetzen, blanke Todesangst, Überlebenskampf, Atemlosigkeit, sterbende Menschen in unmittelbarer Nähe, der Verlust von Freunden, Angehörigen, Kindern, die elendige Hilflosigkeit; ach, und so viele Erlebnisse und Empfindungen angesichts derer sogar die Sprache versagt.

Es ist erst, oder für manche schon 10 Jahre her, dass der Indische Ozean von einem immensen Seebeben erschüttert wurde, das dann einen verheerenden Tsunami auslöste, der erst an den Grenzen Afrikas, Indiens, Sri Lankas, Thailands, Indonesiens und anderen Anrainerstaaten seine ganze zerstörerische Macht ausbreiten konnte. Eine Katastrophe in mehreren Akten, die mit den geologischen Vorgängen erst ihren Anfang nahm.

Katastrophe live

Tsunami – „Welle im Hafen“ wie es im japanischen fast schon verharmlosend heißt – bis vor 10 Jahren nur einigen Menschen in gefährdeten Gebieten Japans, Hawais und Süd-Amerikas in seiner Schrecken verbreitenden Tragweite bekannt. Nochmals aufgefrischt durch die unglaublichen Bilder, die die Tsunami-Katastrophe im März 2011 in Japan in real time auf unsere Bildschirme brachte.

Wenn auch die Erinnerung verblasst…

Jeder kann sich heute die Bilder von 2004 und 2011 immer und immer wieder ansehen. Und doch bleibt mein Entsetzen beim Betrachten der zum Teil unzensierten und drastischen Bilder weit hinter dem zurück, was Menschen dabei erlebt haben.

Wo warst du damals?

Es war der 26. Dezember 2004, der zweite Weihnachtsfeiertag. Die Meldung vom schweren Seebeben erreicht mich morgens beim Aufstehen. Meine spontane Reaktion: Tsunami. Und so kam es auch. Bis zum Ende der Messe war klar, dass ein solcher die Küsten des indischen Ozeans erreicht. Und mir war ebenfalls klar, dass nun, gerade in diesem Moment, viele Menschen ihr Leben verlieren.

Die Nachrichten habe es ja Stunde um Stunde bestätigt. Und nicht lange danach hörte ich zum ersten, aber leider nicht zum letzten mal, diesen zynischen und verachtenden Satz: „Na, an Weihnachten fährt man auch nicht dorthin!“ Auch heute hege ich für solche Äußerungen mehr als nur Unverständnis, sondern pure Verachtung. Als trüge man selbst Schuld an einem Naturereignis, das Menschen das Leben gekostet hat. Und was ist mit denen, die dort lebten und nicht Urlaub machten!? Aber lassen wir das …

Gedenken weltweit

Nun, 10 Jahre danach, geben uns die Medien wieder die Möglichkeit, an all das erinnert zu werden. Gerade die Gegenüberstellungen von vorher und nachher und heute zeigen eindrücklich, was in 10 Jahren alles passiert ist.

Was man nicht sieht, das sind all die Schäden, die die Seelen der Betroffenen erlitten haben. Seien es die Einheimischen rund um den Ozean, seien es die vielen Urlauber oder Menschen, die sich dort ihre Existenz aufgebaut haben. Mit einem Schlag hat diese Wellenfront tiefe Wunden geschlagen, die immer noch da sind. Die auch bei solchen Gedenken zu „runden Jubiläen“ erst recht wieder schmerzen oder aufbrechen. Plötzlich steigen einem Gerüche in die Nase von damals, oder selbst Geräusche sind zu hören, die damals die Luft erfüllten, obwohl doch alles still um einen ist. Bilder tauchen auf wie Blitzlichter, und sie brennen sich tief in die Netzhaut der Seele ein. So, als wäre es erst gestern gewesen…

Wenn auch die Erinnerung verblasst…

Viele haben geholfen, diese Wunden zu versorgen. Viele haben es geschafft, mit den inneren Verletzungen zu leben, aber niemandem ist es gelungen, all dies zu verdrängen. Es bleibt. Und es fordert auch sein Recht, angeschaut und ernst genommen zu werden.

Gedenkgottesdienst in deutscher Sprache

Eine Möglichkeit bieten die zahlreichen Gedenkveranstaltungen im Rahmen des 26. Dezember 2014 in Kao Lak oder wo auch immer entlang der betroffenen Küsten und der Inseln Thailands. Und bei einigen dieser Veranstaltungen werden auch unsere beiden deutschsprachigen Kirchen dabei sein.

Die deutsche Notfallseelsorge wird am und um den 26. Dezember 2014 in Kao Lak den Rahmen schaffen, innerhalb dessen die drei deutschsprachigen Botschaften, die beiden Kirchen und eine Reihe von Notfallseelsorgerinnen und -seelsorgern zusammen mit allen interessierten Betroffenen sich der Ereignisse von vor 10 Jahren erinnern, der Toten gedenken, den vielen Hilfskräften von damals danken und die Betroffenen begleiten, – im Dasein, Beten, Reden, Schweigen, Alleinesein, Weinen, Trauern, Trösten – wie auch immer. Vorsichtig werden wir uns alle sowohl dem Tag, dem Ort und den Gefühlen nähern.

Wenn wir uns alle bemühen, dann verliert vielleicht die Angst vor der Auseinandersetzung mit dem Vergangenen ihre hässliche Fratze. Gemeinsam das Unerträgliche auszuhalten kann in diesen Tagen vielleicht zum Schlüssel werden, wieder eine neue Tür ins Leben aufzuschließen oder gestärkt und hoffnungsvoll auf dem bereits eingeschlagenen Weg weiter in die Zukunft zu gehen. …eben „hoffen bis zuletzt…“

Wenn auch die Erinnerung verblasst, – die Wunden bleiben und niemand kann sie einfach „weg machen“. Zu lernen, sie auszuhalten und als unauslöschlichen Teil des eigenen Lebens mitzunehmen, macht sie nicht leichter, aber tragbarer. Jedenfalls werden wir mit allen darum beten…

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